Begraben
Jugendlichen zu informieren. Das soll sie vor der Gefahr bewahren, in pädophile Kreise zu geraten. Wir kontaktieren auch die Eltern, wenn es sie noch gibt, um ihnen die Risiken zu erläutern, denen sie ihre Kinder aussetzen.«
Cyrille nickte. Anuwat machte eine Pause.
»Ich bin wirklich sehr erfreut, eine mit Professor Arom befreundete Ärztin zu empfangen! Wir sind auf jede Art von Hilfe angewiesen.«
Cyrille lächelte.
»Gibt es dieses Haus schon lange?«
»Seit 2001. Zusätzlich zu den Präventivkampagnen vor Ort und bei den Familien haben wir Heime wie dieses gegründet. Wir sind hier in der Nähe der Tempel und der Touristenviertel, wo die Kinder arbeiten oder betteln. Wir bieten ihnen vorübergehend Unterschlupf und klären sie über Drogensucht und AIDS auf. Wir verteilen Kondome und beraten sie in Hygienefragen … Eine kleine Gruppe von Kindern, deren Eltern verstorben oder im Gefängnis sind, beherbergen wir auch für längere Zeit.«
Anuwat Boonkong ließ Cyrille Blake den Vortritt in den großen, verglasten Raum. Ein Dutzend Kinder und Jugendliche zwischen sechs und fünfzehn Jahren war hier mit Töpferarbeiten beschäftigt. Im hinteren Teil ließ eine halb geöffnete, zweiflügelige Fenstertür Luft herein. Draußen war eine weitere Gruppe dabei, Seidenschals zu bemalen.
»Wir haben kürzlich mit einem neuen kreativen Kunstprojekt begonnen«, erklärte Anuwat. »Bereits zweihundert Kinder nehmen daran teil. Es gibt ihnen die Möglichkeit, einer angenehmen Tätigkeit nachzugehen, hilft ihnen aber zugleich, dem Erlebten Ausdruck zu verleihen und eine friedlichere und glückliche Zukunft zu planen. Die Kinder töpfern, wie Sie hier sehen, sie fertigen aber auch Schmuck an, musizieren, treiben Sport, spielen Theater, fotografieren, erledigen Gartenarbeit und lernen Englisch.«
»Und was geschieht mit ihren Arbeiten?«, fragte Cyrille.
»Wir verkaufen sie, neunzig Prozent des Erlöses gehen an die Kinder und Jugendlichen. So hoffen wir, sie davon abhalten zu können, ihr Geld auf der Straße zu verdienen. Wir möchten sie dazu bringen, ihr künstlerisches Potential zu vermarkten und nicht sich selbst.«
Cyrille beobachtete einen kleinen Jungen mit kahl geschorenem Schädel, der barfuß, in Drillichhose und khakifarbenem T-Shirt vor einer Töpferscheibe hockte. Seine schlanken, lehmverschmierten Finger formten eine längliche Vase. Cyrille runzelte die Stirn. Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was dieser Junge wohl erlebt hatte. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und räusperte sich.
»Vielen Dank für all diese Erläuterungen.«
Sie verließen den Raum und standen nach ein paar Schritten plötzlich einer korpulenten blonden Frau gegenüber, gekleidet in Bermudas und einem weißen T-Shirt mit Logo, das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Anuwat stellte die Besucherin vor:
»Doktor Cyrille Blake, eine Freundin von Professor Arom, der sie geschickt hat, damit sie das Zentrum kennenlernt.«
Die Frau reichte ihr steif die Hand.
»Natascha Hetzfeld«, sagte sie auf Französisch mit einem ausgeprägten deutschen Akzent. »Ich komme aus Zürich und bin die neue Leiterin dieser Hilfsorganisation für Thailand.«
Cyrille begrüßte sie.
»Sanouk Arom hat mir gesagt, Sie könnten mir einiges über Amnesie bei Kindern erzählen. Ich beschäftige mich mit ähnlichen Fällen in Frankreich und interessiere mich sehr dafür, wie diese Patienten hier betreut werden.«
Natascha Hetzfeld wechselte einen kurzen Blick mit Anuwat, und Cyrille spürte, wie sich die Atmosphäre zwischen ihnen abkühlte.
»Wir können Ihnen nichts sagen. Es handelt sich dabei um vertrauliche medizinische Unterlagen.«
»Aber ich bin selbst Ärztin«, beharrte Cyrille. »Der Professor hat mir erklärt, diese jungen Patienten seien wahrscheinlich drogensüchtig. Genau das …«
Die neue Leiterin unterbrach sie:
»Es tut mir leid, aber wir haben keine Zeit. Wir haben jetzt gleich eine Sitzung.«
Anuwat warf der Besucherin einen verschwörerischen Blick zu und geleitete sie Richtung Ausgang. Er sagte nichts, schien zu zögern. Die Schweizerin, die von der Unesco zur Verwaltung des Zentrums entsandt worden war, wusste nicht viel über die Situation in Thailand. Gegen jeden gesunden Menschenverstand versuchte sie, ihre unflexible und strenge Organisation durchzusetzen. Eine Fehlbesetzung. Anuwat ertrug dieses neuerliche Diktat mit einem Lächeln, aber seine Arbeit wurde zunehmend schwierig.
»Ich würde der
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