Begraben
hat.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe im Internet recherchiert.«
Cyrille bemerkte, dass die Hände des Fotografen die Tischkante umklammerten. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler weißer Strich. Er durfte jetzt hier mit all den Leuten ringsumher keinen Anfall bekommen. Sie konzentrierte sich auf das, was sie ihm sagen wollte, um ihn zu beruhigen.
»Es tut mir wirklich leid, Julien. Es ist furchtbar, eine solche Nachricht auf diese Art zu erfahren. Darum müssen Sie sich in Behandlung begeben. Warum sind Sie in Paris nicht mehr zu mir gekommen?«
»Weil ich dort in Gefahr bin …«
Cyrille räusperte sich.
»In Gefahr? Wer will Ihnen etwas antun?«
»Die Leute von Sainte-Félicité … sie haben mir einen Killer auf den Hals gehetzt. Jetzt verstehe ich auch, warum. Man will mich zum Schweigen bringen.«
Cyrilles Gesicht blieb ungerührt. Julien Daumas entwickelte ganz offensichtlich paranoide Tendenzen.
»Ach ja …«
Cyrille Blake musterte ihren Patienten eine Weile. Plötzlich ein Vibrieren in ihrer Tasche. Sie zog eilig ihr Handy heraus. Benoît. Sie erhob sich.
»Ich bin in fünf Minuten zurück, warten Sie hier.«
*
Sie trat ein Stück auf die Straße, wo das Stimmengewirr nur noch gedämpft war.
»Hallo?«
»Cyrille, ich bin es, hast du meinen Brief bekommen?«
Cyrille seufzte.
»Ja, ich habe ihn gelesen.«
Benoît Blake schien sehr betroffen.
Cyrille massierte sich die Nasenwurzel.
»Hör zu … Im Moment prasselt zu viel auf mich ein, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ich muss zunächst Ruhe finden und Bilanz ziehen.«
»Du musst mich verstehen. Ich habe es für uns getan.«
»Ja, ja, ich weiß, Benoît, aber ich bin noch völlig schockiert. Du hast Manien gedeckt …«
»Vielleicht, aber wenn ich ihn angezeigt hätte, wärest auch du dran gewesen …«
»Aber wie … Wie habe ich so etwas akzeptieren können?«
»Ich weiß es nicht.«
Cyrille drückte die Hand auf ihre Augen. Irgendetwas stimmte nicht, aber was? Aus Angst, etwas Unüberlegtes zu sagen, was ihr später leidtun könnte, wechselte sie das Thema.
»Hast du etwas von Marie-Jeanne gehört? Ich hatte sie gestern Morgen am Telefon, aber es schien ihr nicht gut zu gehen.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Cyrille beobachtete eine Gruppe politischer Demonstranten in gelben T-Shirts mit Spruchbändern, die am Königspalast vorbeimarschierte.
»Benoît, bist du noch da?«
»Mein Gott …«, murmelte Blake.
»Was ist passiert?«
»Sie ist angegriffen worden.«
Cyrille war alarmiert.
»Was sagst du da?«
Benoît zögerte kurz.
»Sie ist angegriffen worden.«
Cyrille spürte, wie das Blut aus ihrem Kopf wich und dann wieder in ihr Gehirn stieg. Am liebsten hätte sie ins Telefon geschrien.
»Ist sie verletzt?«
»Ja.«
»Was ist passiert?«
»Sie … wie soll ich sagen … Sie ist geblendet worden.«
»Mit Tränengas?«
»Nein … Wenn du wüsstest. Man hat … Es ist furchtbar.«
»Nun rede schon, mein Gott!«
»Man hat ihr die Augen ausgestochen.«
Cyrilles Finger umklammerten das Handy, als wollten sie es zerquetschen.
»Was?«
»Aber es geht ihr gut, und durch eine Hornhauttransplantation wird sie auch das Augenlicht zurückerlangen. Das haben die Ärzte versichert.«
Cyrille öffnete den Mund, ohne einen Ton herauszubringen. Nach einer Weile stieß sie hervor:
»Die Augen … Verdammte Scheiße!«
Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie laut fluchte. Sie rang nach Luft und presste entsetzt die Hand auf den Mund.
»Mein Gott, wie grauenvoll … Wer hat?«
Langsam drehte sie sich um, und ihr Blick verweilte auf dem jungen Mann, der keine zwanzig Meter von ihr entfernt am Tisch saß. Mit tonloser Stimme murmelte sie:
»Das war er, Benoît.«
»Wer?«
»Er hat es getan.«
»Wer?«
»Julien Daumas.«
Benoîts Stimme klang immer angespannter.
»Ja, ich weiß, sie hat gestanden, dass er ihr Liebhaber war. Ein Dreckskerl.«
Cyrille atmete tief durch.
»Er ist hier.«
»Wer?«
»Julien Daumas. Er hat mich hier aufgespürt.«
»Was? Was hat dieses Schwein dort zu suchen?«, rief Blake.
»Marie-Jeanne hat ihm gesagt, wo ich bin.«
»Das gibt’s doch nicht!«
»Doch, er ist hier.«
»Du bist in Gefahr, Cyrille. Geh zur Polizei und lass ihn einsperren.«
»Und unter welchem Vorwand bitte?«
Beredtes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Benoît hatte auch keine Lösung anzubieten. Nein, man konnte nichts tun. Außerhalb von Frankreich war Julien
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