Begraben
des Problems.«
»Ach ja?«
»Wir müssen beide nach Paris zurück und uns im Zentrum behandeln lassen. Ich habe gerade erfahren, dass eine gezielte, hochdosierte transkranielle Magnetstimulation gute Ergebnisse erzielt.«
»Warum nicht?«
»Aber ich kann erst in drei Tagen zurückfahren. Ich muss nach Surat Thani, um acht Uhr geht mein Zug. Und danach nehme ich am Kongress teil. Ich denke also, das Beste wäre es, wenn Sie bis zu meiner Rückkehr ins Brain Hospital gehen würden. Ich kenne den Chefarzt. Das wäre sicher möglich, und Sie würden gut versorgt.«
»Nein.«
Juliens Weigerung kam wie aus der Pistole geschossen.
»Nein?«
»Ich gehe nicht in irgendein Krankenhaus, ich lasse mich nur von dir behandeln.«
Sie schwieg eine Weile.
»Das Brain Hospital ist sehr gut, und Sie wenden dieselben Methoden an wie wir in Paris. In vierundzwanzig Stunden bin ich zurück.«
»Nein, entweder bleibe ich bei dir, oder ich verschwinde.«
Cyrille wischte sich einen Schweißtropfen von der Schläfe. Ihr Patient war gefährlich. Sie kam um vor Angst, aber gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie ihn nicht einfach frei herumlaufen lassen konnte. Er stellte für jeden, der ihm widersprach, eine Bedrohung dar. Sie wog die Möglichkeiten gegeneinander ab. Sie hatte keine Lust, die Heldin zu spielen, und war auch nicht besonders mutig, aber sie könnte nicht mit dem Gedanken leben, einen Kriminellen, der jeder Zeit zuschlagen konnte, einfach laufen gelassen zu haben. Und wenn er nun ein Kind angreifen würde? Das wäre erneut ihre Schuld, und sie hätte bis ans Ende ihrer Tage daran zu tragen. Sie trank die Hälfte ihres Glases aus, nahm all ihren Mut zusammen und sagte schließlich:
»Gut, ich schlage Ihnen vor, mich zu begleiten, allerdings unter einer Bedingung.«
»Unter welcher?«
»Ich werde Ihnen eine medikamentöse Therapie verordnen. Sie müssen die Tabletten jedes Mal und genau in dem Moment nehmen, wenn ich es Ihnen sage.«
»Wozu?«
»Sie haben sadistische Triebe, Julien. Immer dann, wenn Sie Ihre Angst nicht meistern können. Ich will nicht in eine Verteidigungssituation geraten.«
»Ich würde dir nie etwas antun!«
»Das glaube ich. Aber sagen wir, es ist eine Art Lebensversicherung für mich. Wenn Sie bereit sind, meine Bedingungen zu akzeptieren, können Sie mich begleiten.«
Julien war einverstanden. Er würde Cyrille nicht mehr verlassen. Sie würden nach Paris zurückfahren, und sie würde ihn heilen. Das wäre vielleicht das Ende seiner Qualen. Jener Qualen, die ihn ständig in die Flucht trieben und daran hinderten, sich irgendwo niederzulassen.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sackte ein wenig in sich zusammen.
»Okay«, sagte er leise.
Die Gruppe der politischen Demonstranten war umgekehrt, hatte die Straße überquert und kam jetzt auf sie zu. In schwarze Hosen und gelbe T-Shirts gekleidet, trugen sie Transparente, die Neuwahlen forderten. Julien sah sie kommen. Die nächsten Wahlen könnten in einen Aufstand ausarten, wenn die Regierung nicht in ihrer eigenen, bis ins Mark korrupten Partei aufräumte. Die Thailänder hatten einen moralisch zweifelhaften Präsidenten in die Flucht geschlagen, doch jetzt trat dieser wieder an, um die Macht zurückzuerobern. Der Fotograf kniff die Augen zusammen. Das von Wolkenschleiern gefilterte Licht unterstrich das leuchtende Gelb der T-Shirts und verlieh der Szene ein fast fluoreszierendes Licht. Ein gutes Foto, das er an die Presseagenturen hätte verkaufen können, die über die Wahlen berichteten.
Doch im Moment fühlte er sich unfähig, irgendeine Aufnahme zu machen. Die Demonstranten waren nur noch zehn Meter entfernt. Sie würden das Café stürmen, und es würde vielleicht zu Auseinandersetzungen kommen. Vor kurzem hatte am Flughafen ein Schusswechsel stattgefunden. Julien griff nach seinem Fotoapparat und legte den Trageriemen um den Hals. Er stand auf.
»Julien?«
»Ja?«
»Ich muss noch einmal im Hotel vorbeigehen und ein paar Sachen einkaufen, bevor der Zug abfährt. Begleiten Sie mich?«
Er nickte.
Mit zittrigen Knien erhob auch sie sich. Sie war nicht sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, ganz im Gegenteil.
42
Um siebzehn Uhr dreißig stieg Cyrille aus einem Tuk-Tuk und betrat den Bahnhof von Bangkok, der mit seiner gewaltigen Metallkuppel an einen Raumfahrt-Hangar erinnerte. Sie hatte sich nachmittags von Julien getrennt und mit ihm vereinbart, sich später direkt im Zug wieder zu treffen. Cyrille
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