Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
Vom Netzwerk:
Methode definitiv geheilt.«
    »Geheilt von was?«
    »Von ihren schlechten Erinnerungen.«
    Cyrille verschlug es die Sprache.
    »Es ist Ihnen also gelungen …«
    Rama Supachai unterbrach Cyrille.
    »Ja, aber ich muss noch ein paar Kleinigkeiten korrigieren. Sobald meine Erfolgsquote signifikant ist, kann ich die Ergebnisse einem breiteren Personenkreis vorstellen. Wissen Sie, was die neue Medizin angeht, leben wir hier in einem Paradies. Wenn ich erst einmal meine eigene Klinik habe, werden die Menschen zu Hunderten herbeiströmen, um einen Neuanfang zu machen – natürlich nur diejenigen, die über die nötigen Mittel verfügen. Sie werden ihre Niederlagen und Albträume vergessen.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass sich die Leute mit Ihrer Methode nicht mehr an ihre Vergangenheit erinnern?«
    »Wir löschen nur den Teil, der sie belastet und unter dem sie leiden.«
    Die Worte drangen in Cyrilles Gehirn, und sie vergaß ihre prekäre Lage und dachte über die Folgen von Supachais Vorhaben nach. Wie viele Kinder hatte er auf diese Weise schon missbraucht und seit wann? Welche irreversiblen Schäden hatte er verursacht? Und warum? Um die Menschen von ihren Fehlern und ihrem Schmerz zu befreien?
    »Mit Verlaub, Professor Supachai, ich bin mit Ihrem Ansatz nicht einverstanden.«
    »Ach, wirklich?«
    »Trauer, Verlust, Schmerz und Leid sind Bestandteile des Lebens. Und der Mensch ist in der Lage, sie zu überwinden. Es gibt ein Phänomen, das man als Resilienz bezeichnet und das selbst Opfern der schlimmsten Verbrechen die Möglichkeit gibt, sich wieder zu konsolidieren. Dank seiner Plastizität ist das Gehirn in der Lage, das Trauma zu verarbeiten und mit der Zeit zu vergessen. Natürlich muss man diesen Prozess unterstützen, und genau darin besteht meine Arbeit: Ich versuche, durch die Gabe von Meseratrol und durch therapeutische Begleitung den Schmerz zu lindern. Aber ihn ganz vergessen machen? Nein!«
    Cyrille ballte die Hände zu Fäusten. Sie spürte, wie sich hinter ihren Augen langsam eine Migräne aufbaute. Dieser Forscher war verrückt und gemeingefährlich. Er würde unberechenbare und deviante Wesen schaffen. Wenn die Menschheit diesen Weg einschlüge, würden nur leere Hüllen ohne Vergangenheit zurückbleiben, die sich in einem falschen Glück wähnten, im Grunde aber gefährlich und unkontrollierbar wären. Und das wäre das Ende der menschlichen Emotionen und Intelligenz.
    Rama Supachai schnitt die Krone eines Bonsai aus, der krank zu sein schien.
    »Das heißt, Sie erachten es für negativ, den Kindern ihre schlechten Erinnerungen zu nehmen? Ein eigenartiger Gedanke.«
    Rama Supachai musterte sie herablassend. Cyrille war verwirrt.
    »Ich glaube nicht, dass es den Kindern hilft, die Schäden, die die Erwachsenen angerichtet haben, auszulöschen. Im Gegenteil. Warum sollten Letztere Skrupel haben, Verbrechen zu begehen, wenn es Hilfsmittel gibt, um die Erinnerung daran auszuschalten? Sie wollen denen, die ihre Schuld vergessen wollen, eine Luxus-Lobotomie anbieten?«
    Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
    Kein Vergehen, keine Schuldgefühle!
    Keine Schuldgefühle, kein Schuldiger.
    Kein Schuldiger, keine Strafverfolgung.
    »Sie wollen den Reichen eine Art Absolution per Gehirnwäsche verkaufen, ja? Bezahlt, und ihr erhaltet Vergebung.«
    Sie bebte vor Wut. Das Schlimmste war, dass sie genau wusste, dass sich wohlhabende, aber unglückliche Menschen darauf einlassen würden. Das hatte Arom geahnt – und mit seinem Leben dafür bezahlt.
    »Sie wollen also sagen, es sei falsch, das vergessen zu wollen, worunter man leidet und wofür man sich schämt?«
    Er schien belustigt. Cyrille blinzelte.
    »Ich halte das für einen Irrtum. Wir sollten es lieber unserem Gehirn und der Zeit überlassen.«
    Er trat auf sie zu und sagte langsam:
    »Da waren Sie aber vor ein paar Jahren ganz anderer Ansicht.«
    Cyrille starrte ihn fassungslos an.
    »Wie bitte?«
    Supachai verschränkte die Arme und betrachtete sie wie ein Studienobjekt.
    »Sie können sich also an nichts mehr erinnern? Das ist fantastisch …«
    Er strich sich übers Kinn. Eisige Kälte kroch in Cyrille hoch.
    »Erklären Sie …«, flüsterte sie.
    »Sogar als Sie mich gesehen haben, hat keine Alarmglocke geschrillt? Kein Erinnerungsblitz … nichts?«
    Die Kälte ergriff Besitz von ihrem ganzen Körper. Sie verstand nicht, was ihr der thailändische Wissenschaftler sagte.
    »Nein, ich habe Sie nie zuvor gesehen.«
    Rama betrachtete sie

Weitere Kostenlose Bücher