Begraben
verblüfft.
»Stimmt, Sie waren eine der Ersten. Vielleicht habe ich des Guten etwas zu viel getan.«
Eine eisige Welle überspülte Cyrille.
»Wovon sprechen Sie?«
»Na kommen Sie, erinnern Sie sich nicht einmal an unsere Begegnung? Es war vor zehn Jahren, genau zur selben Zeit. Damals hatte ich meine Praxis noch in Bangkok, und Sie sind zu mir gekommen. Seither habe ich meine Technik wesentlich verbessert. Heute führt der Eingriff nicht mehr zum totalen Blackout, zumindest in den meisten Fällen nicht.«
Instinktiv wich Cyrille zurück und hätte sich gern die Ohren zugehalten.
»Und warum sollte ich zu Ihnen gekommen sein?«, brachte sie schließlich mühsam hervor.
»Weil Sie bestimmte Dinge vergessen wollten.«
»Ach ja?«, rief sie hysterisch, »und was, bitte?«
Rama Supachai setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf.
»Den letzten Monat Ihres Lebens.«
Die Worte stachen in ihre Haut wie eisige Nadeln. Starr saß sie auf der Holzkiste. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Die Bonsais verwandelten sich in verkrüppelte Greise, die boshaft lachten. Der Himmel verfinsterte sich, die Gischt schlug gegen die Scheiben. War Sturm aufgekommen? Sie befand sich in einem Schockzustand.
»Frau Doktor Blake, geht es Ihnen nicht gut?«
Sie kam zu sich, war aber so verstört, als würde sie aus einem Koma erwachen.
»Ich verstehe nicht …«, sagte sie mit schwacher Stimme.
Supachai schloss halb die Augen, die Schatten wurden länger. Er rief einen Wächter und sagte etwas auf Thai zu ihm. Kurz darauf betrat ein Junge von kaum zehn Jahren, mit T-Shirt und khakifarbenen Shorts bekleidet, den Raum. Rama Supachai stellte das Licht in dem Gewächshaus heller und sagte etwas zu dem Kleinen, der gehorsam nickte. Dann wandte er sich an Cyrille.
»Kommen Sie, Frau Doktor, untersuchen Sie ihn.«
Cyrille Blake brauchte eine Weile, um reagieren zu können. Sie erhob sich, ohne zu verstehen, worauf Supachai hinauswollte, und hockte sich vor den Jungen, der die fremde Frau mit leerem Blick ansah.
»Was soll ich tun?«, fragte sie den Forscher.
»Untersuchen Sie ihn, dann werden Sie verstehen.«
Die Ärztin tastete den Körper des Jungen ab, ohne zu wissen, wonach sie suchte, die Arme, die Beine, den Bauch, den Schädel, dann schob sie ihm eine Haarsträhne aus der Stirn … und riss ungläubig die Augen auf.
Paris, 13 Uhr
Das Taxi hielt vor der Notaufnahme des Krankenhauses Cochin. Tony öffnete die Tür und half Marie-Jeanne heraus. Er nahm die Tasche der jungen Frau, die eine Sonnenbrille trug, und reichte ihr den Arm. Schweigend gingen sie zur chirurgischen Abteilung.
»Glücklicherweise ist es nur ein Beckenbruch«, sagte er zu Cyrilles Nichte. »Er muss acht Tage liegen und kann dann an Krücken gehen. Sie werden sehen, auch bei Ihnen kommt alles wieder in Ordnung.«
»Wollen wir uns duzen?«, fragte Marie-Jeanne, die sich bei Tony untergehakt hatte.
Sie war erleichtert gewesen, als dieser aufmerksame Mann in ihrem Krankenzimmer im Quinte-Vingts aufgetaucht war. Sie hatten sich lange unterhalten, und sobald sie Vertrauen gefasst hatte, hatte sie ihm alles erzählt. Julien, Benoît, ihre Angst, er könnte zurückkommen. Tony hatte mit dem Arzt gesprochen und ihr einen Vorschlag gemacht, den sie nicht ablehnen konnte:
»Und wenn Sie bis zu Cyrilles Rückkehr bei uns wohnen würden?«
Marie-Jeanne und Tony fuhren in den dritten Stock und traten in Ninos Zimmer.
»Hallo!«, rief der Sizilianer erfreut, als er das vertraute Gesicht sah.
»Das ist Marie-Jeanne«, sagte Tony.
»Wir kennen uns schon.«
Cyrilles Nichte erkannte die freundliche Stimme, die sie bereits im Centre Dulac gehört hatte, und wusste sofort, dass sie zu dem hübschen Dunkelhaarigen gehörte. Tony führte sie zu einem Stuhl.
»Marie-Jeanne bleibt bei uns, bis Cyrille zurück ist«, erklärte er.
»Gute Idee«, meinte Nino, der erschöpft zu sein schien.
»Wie geht es dir?«, fragte Tony.
»Wie jemandem, der von einem Motorrad angefahren worden ist.«
Tony beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Fang mit der Guten an.«
»Die Polizei hat den Besitzer des Motorrads gefunden.«
Nino warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Und die Schlechte?«
»Es gehört Manien …«
Der Krankenpfleger schwieg eine Weile, um die Neuigkeit zu verarbeiten.
»Haben sie ihn festgenommen?«
»Ja.«
Marie-Jeanne rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
»Rudolf
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