Begraben
die Klinik.«
»Ich sehe ihn heute Nachmittag. Ich dachte mir, dass ich ihn vier Tage behandele und dann an einen Kollegen überweise.«
Benoît Blake verzog skeptisch das Gesicht.
»Vier Tage, nicht länger?«
Cyrille zog die Decke bis ans Kinn.
»Keine Sorge, mein Liebling, ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen.«
8
Ausgeruht und fest entschlossen, sich nicht von ihren Ängsten unterkriegen zu lassen, kehrte Cyrille um vierzehn Uhr in die Klinik zurück. Im Yoga-Raum wurde sie bereits von ihren Patienten erwartet. Vier Männer und drei Frauen saßen, mit Socken an den Füßen, auf dicken Kissen am Boden.
»Guten Tag!«, rief sie ihnen fröhlich entgegen.
»Guten Tag, Frau Doktor«, antworteten sie im Chor.
In einer Ecke des Raums zog Cyrille ihre Ballerinas aus und setzte sich im Schneidersitz vor die Gruppe.
»Beim letzten Mal haben wir an unserem Selbstbewusstsein und der Wahrnehmung des Augenblicks gearbeitet. Ich hoffe, Sie haben die Woche über geübt. Heute möchte ich, dass Sie sich intensiver mit dem Gefühl der … Dankbarkeit auseinandersetzen. Der britische Dichter John Milton schrieb: ›Der Geist ruht in sich selbst, und in sich selbst kann er die Hölle zum Himmel machen, den Himmel zur Hölle.‹ Anders ausgedrückt, unsere Gedanken bestimmen unser Wohlbefinden mehr als alles andere. Seine Dankbarkeit auszudrücken, ist die beste Strategie, wenn man glücklich werden will. Dankbarkeit wirkt negativen Impulsen entgegen und neutralisiert Neid, Geiz, Feindseligkeit, Angst und Gereiztheit.«
Cyrille klatschte in die Hände. »Sind Sie bereit?«
Cathy James, Doktor der Verhaltenspsychologie an der Universität von Minnesota, hatte Cyrille zu diesem Kurs inspiriert. Als diese Cathy letztes Jahr besucht und an ihren Übungsstunden zu positivem Denken teilgenommen hatte, war sie sofort begeistert gewesen. Cathy hatte ihr gezeigt, wie man gestressten Menschen mit ganz einfachen Übungen helfen konnte.
Sie ermutigte die Kursteilnehmer zum Beispiel dazu, sich regelmäßig folgende Frage zu stellen: »Welche Personen oder welche Ereignisse sind der Grund dafür, dass ich einer geliebten Tätigkeit nachgehe, dass ich dieses Buch oder jenes Lied so sehr mag?« Am Abend vor dem Einschlafen sollten sie den vergangenen Tag wie einen Film Revue passieren lassen, um sich die positiven Erlebnisse noch einmal vor Augen zu führen: ein gutes Essen, ein nettes Telefonat, eine zur Zufriedenheit erledigte Aufgabe, das Wohlbehagen, nachdem man sich sportlich verausgabt hatte … Oder sie riet ihnen ganz einfach, die Dinge wertzuschätzen, die ihnen das Leben leichter machten: fließendes Wasser, Früchte und Gemüse in Hülle und Fülle, die Luft, die Sonne …
Cyrille hatte festgestellt, dass Städtern solche Übungen nicht leichtfielen, denn Ironie und Zynismus besaßen einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Dennoch hatte sie an dieser Methode festgehalten und umgehend Resultate erzielen können. Die Schwierigkeit bestand darin, durchzuhalten und nicht wieder in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen. Sonst gewannen Stress, Hyperaktivität, Neid oder das stetige Konkurrenzdenken erneut die Oberhand.
Im Augenblick leitete sie noch selbst diese Kurse, die im Angebot des Zentrums neu waren. Doch schon bald würde Maryse Entmann das übernehmen. Mit der Fernbedienung dimmte Cyrille Blake das Licht und lehnte sich entspannt gegen ein Kissen.
»Machen Sie es sich bequem, atmen Sie tief ein und aus, konzentrieren Sie sich ausschließlich darauf.«
Zehn Minuten vergingen, in denen nur die regelmäßigen Atemzüge zu hören waren. Die Patienten schliefen nicht, gerieten aber in eine leichte Trance, die sie für die Anregungen der Ärztin empfänglich machte.
»Ich möchte, dass Sie sich zunächst auf Ihre Füße konzentrieren. Danken Sie ihnen dafür, dass sie Sie tragen, Sie dorthin bringen, wohin Sie möchten. Kommen Sie nun zu Ihrer Körpermitte, Ihrem Bauch, danken Sie ihm, dass er Sie nährt, das Essen gut für Sie verdaut, Ihnen die für Ihr Überleben notwendige Energie spendet …«
Um fünfzehn Uhr ging Cyrille entspannt und voller Elan hinauf in den ersten Stock. Diese psychologischen Trainingsstunden taten ihr genauso gut wie ihren Patienten. Ihr Blick streifte Marie-Jeanne. Die junge Frau saß auf der Schreibtischkante. Sie trug einen Wildlederrock, unter dem ihre hübschen Beine in Cowboystiefeln zum Vorschein kamen. Der Abstand zwischen ihr und Julien Daumas betrug
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