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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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gerade mal fünfzig Zentimeter. Die Hände in den Taschen seiner Jeans, stand der junge Mann direkt vor ihr und musterte sie eindringlich. Sein durchtrainierter Oberkörper zeichnete sich unter dem Sport-Shirt ab. Marie-Jeanne lachte, ihre rote Lockenpracht wogte, und die ausgeschnittene rosafarbene Bluse brachte ihr üppiges Dekolleté vorteilhaft zur Geltung. Die sexuelle Spannung zwischen den beiden war deutlich spürbar.
    »Hallo, Marie-Jeanne, guten Tag, Monsieur Daumas«, sagte Cyrille laut.
    Marie-Jeanne sprang auf.
    »Ähm … hallo, Cyrille. Monsieur Louis von der Gesellschaft für gewaltfreie Kommunikation hat angerufen, er möchte sein Treffen mit dir auf nächste Woche verschieben.«
    »Danke. Kannst du bitte nachsehen, wann ein Termin frei wäre?«
    Und an Julien Daumas gewandt:
    »Wie fühlen Sie sich heute?«
    Nachdenklich wiegte der junge Mann den Kopf hin und her.
    »Die Nacht war nicht besonders …«
    Marie-Jeanne sah ihre Tante fragend an. Cyrille beachtete sie nicht und ging nervös ihrem Patienten voran ins Sprechzimmer. Ihre Nichte konnte doch nicht einfach mit den Patienten flirten! Was Julien Daumas betraf, so musste sie sehen, dass sie so gut wie möglich mit ihm klarkam, die Sitzungen korrekt durchführte, und damit basta.
    Sobald der junge Mann ihr gegenüber Platz genommen hatte, konfrontierte sie ihn ohne große Umschweife mit der Auswertung der Ergebnisse.
    »Ihre Schlafkurve ist normal, der Melatoninspiegel ebenfalls. Wir haben es also mit Albträumen unbekannten Ursprungs zu tun.«
    Ihr Ton war strenger als am Vortag und sorgte für die nötige Distanz. Julien beobachtete sie, ohne ein Wort zu sagen. Sein Blick glitt über ihr Haar und fiel dann auf das mit Diamanten besetzte Herz, das sie um den Hals trug. Cyrilles Puls beschleunigte sich.
    »Ich möchte Ihnen die Barry-Krakow-Methode vorschlagen«, fuhr Doktor Blake fort. »Er ist Arzt an der Universität von New Mexico, und ich kenne ihn sehr gut. Seine Technik erfordert eine intensive Zusammenarbeit und erstreckt sich über vier Sitzungen. Das würde bedeuten, dass wir pro Tag eine Sitzung hätten, von heute an gerechnet. Lässt sich das mit Ihrer Arbeit vereinbaren?«
    Julien sah sie unverwandt an. Er befeuchtete seine Lippen.
    »Kein Problem.«
    »Könnten wir sofort beginnen?«
    »Je früher, desto besser.«
    »Perfekt. Ich habe hier vor mir den Albtraum, den Sie niedergeschrieben haben. Machen sie es sich doch auf der Couch bequem.«
    Julien tat, wie ihm geheißen.
    Sein Kopf lehnte an einem Kissen aus englischgrünem Samt. Mit demselben Stoff war auch die Couch bezogen, auf der er sich nun ausstreckte.
    »Bei dieser Methode schildert der Patient so detailliert wie möglich seinen Albtraum. Dadurch, dass Sie gleich nach dem Erwachen Ihren Traum notiert haben, hat er sich in Ihrem Erinnerungsvermögen verankert. Das ist ein guter Anfang. Bitte erzählen Sie ihn mir, ich höre Ihnen zu.«
    Julien Daumas atmete mehrmals tief durch, ehe er begann:
    »Ja … ich … nun, er beginnt eigentlich immer gleich: Ich befinde mich in einer dunklen Gasse.«
    »Einer Straße oder einer Sackgasse?«, unterbrach ihn Cyrille mit monotoner Stimme.
    Ziel dieser Übung war es nicht, die Angst erneut heraufzubeschwören, sondern einen Ausweg aus dem schlechten Traum zu finden.
    »Eine Straße. Sie ist nach zwei Seiten offen. Ich befinde mich in der Mitte.«
    »In welcher seelischen Verfassung sind Sie?«
    »Ich habe Angst.«
    »Vor wem oder was?«
    »Ich werde verfolgt. Ich möchte nach rechts fliehen, aber plötzlich steht da ein Mann.«
    »Was hat er an?«
    »Er ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt eine Kapuze. Er hat nicht wirklich ein Gesicht, und seine Augen sind … leer.«
    »Hm …«
    »Ich drehe mich also um und will nach links fliehen, doch er ist schon wieder da. Und nun passiert alles sehr schnell, er geht auf mich los …«
    »Und?«
    »Er hat ein Messer, ein Austernmesser mit rundem Griff, und er sticht auf mich ein.«
    »Setzen Sie sich nicht zur Wehr?«
    »Meine Füße kleben am Boden, meine Muskeln sind wie gelähmt. Und dann dreht der Mann sich um und sticht auf dich ein …«
    »Auf mich?«
    »Ja, auf dich …«
    Cyrille erstarrte. Der Patient duzte sie! So etwas war ihr noch nie passiert.
    »Sie duzen mich, Monsieur Daumas.«
    »In Sainte-Félicité haben wir uns auch geduzt.«
    Cyrille Blake atmete tief durch und lehnte sich in ihrem Sessel zurück.
    »Bleiben wir doch beim Sie.«
    Julien hielt kurz inne und fuhr

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