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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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blätterte in einer Zeitschrift. Auf dem niedrigen Tisch vor ihr standen zwei Gläser Wein. Ungewöhnlich.
    »Wow, was gibt es denn zu feiern?«
    Cyrille strahlte ihren Ehemann an, erhob sich und ging ihm entgegen.
    »Unsere letzten ruhigen Tage vor dem Nobelpreistheater!«
    Der Große Mann seufzte.
    »Das ist ganz reizend, mein Liebling, aber wir wollen doch den Tag nicht vor dem Abend loben …«
    Sie küssten sich.
    »Warum? Was ist passiert?«, erkundigte sich Cyrille.
    Benoît wirkte enttäuscht.
    »Angeblich favorisiert das Karolinska-Institut meinen Konkurrenten Tardieu.«
    Cyrille nahm die Weingläser und reichte ihm eines.
    »Und, stammen die Gerüchte aus einer zuverlässigen Quelle?«
    »Das kann ich nicht beurteilen, und deshalb regt es mich auch so auf. Tardieu ist ein Angeber und Schleimer, alles, was er kann, ist, vor der Akademie zu katzbuckeln. Seine Arbeit taugt nichts.«
    Cyrille räusperte sich. Immerhin hatte Tardieu die Wirkungsweise des Oxytocins entschlüsselt – des vom Hypothalamus gebildeten Hormons, das vor der Geburt auf den Uterus kontraktionsauslösend wirkt und nach der Geburt für den Milcheinschuss in die Brustdrüsen verantwortlich ist. Doch das Hormon spielte auch – und dieser Punkt interessierte Cyrille ganz besonders – eine wichtige Rolle bei der Vertrauensbildung. Oxytocin baute Stress ab, steigerte die Bindungsfähigkeit und senkte das Schmerzempfinden. Viele Autoren bezeichneten es daher als »Liebeshormon«. Tardieu war also alles andere als ein Hochstapler! Wenn Benoît erst einmal in Fahrt war, wurde er zum Meister der üblen Nachrede. Doch heute Abend würde sie ihm nicht widersprechen.
    »Komm, mein Schatz, entspann dich!«
    Benoît legte Jackett und Krawatte über die Sofalehne. Im hinteren Teil des Raumes gelangte man in ein geräumiges Esszimmer mit einem breiten, für zwei Personen gedeckten Glastisch.
    »Danke, Liebling. Was würde ich nur ohne dich tun?«
    Sie setzten sich, tranken Wein, aßen den Salat und anschließend die Lasagne.
    Als Cyrille das Gefühl hatte, ihr Mann habe sich ausreichend beruhigt, legte sie das Besteck beiseite, holte ihre Handtasche, die am Sofa lehnte, und zog daraus einen weißen Umschlag hervor. Benoît beobachtete sie neugierig.
    »Überraschung!«, rief Cyrille und überreichte ihm das Kuvert.
    Als er darin zwei Flugtickets nach Mauritius entdeckte – in dreieinhalb Wochen sollte es losgehen –, sah Benoît sie erstaunt an. Hocherfreut über seine Reaktion, stand Cyrille lächelnd vor ihm. Beschwichtigend hob sie die Hand, um jeglichen Protest im Keim zu ersticken.
    »Ich weiß, ich weiß, du bist superbeschäftigt, und ich auch. Aber wenn wir jetzt nicht fahren, sind wir wieder ein komplettes Jahr durch Termine blockiert. Außerdem hat Muriel mir gesagt, dass ich mir entschieden zu viel zumute. Ich fühle mich nicht ganz fit. Kurz, ich brauche endlich mal Urlaub.«
    Benoît zeigte Verständnis.
    »Ja, du hast recht. Eine ausgezeichnete Idee, bravo!«
    Seit ihre Forschungsarbeit über Meseratrol beendet war, hatten sie kaum noch gemeinsame Aufgaben. Ihre Zusammenarbeit beschränkte sich seitdem auf die Korrekturen, die Cyrille an Benoîts Texten vornahm. Der Rest des Abendessens verlief heiter. Cyrille sprach bewusst von allem Möglichen, nur nicht vom Centre Dulac. Sie wollte unbedingt jeden Bezug zu medizinischen Themen oder Patienten meiden.
    Bis Benoît all ihre Bemühungen zunichte machte.
    »Hält Lecomte morgen seinen Vortrag?«
    »Ja, alle wissen Bescheid, die Presse, die Patienten. Es verspricht ein Erfolg zu werden.«
    »Umso besser. Wenn ich es schaffe, rechtzeitig vor dem Empfang einzutreffen, werde ich ihn begrüßen. Der Galaabend beginnt um zwanzig Uhr, aber wenn du schon ein bisschen eher da sein könntest, um die anderen Gäste willkommen zu heißen, wäre das wundervoll.«
    Benoît Blake war einer der Ehrengäste dieser Wohltätigkeitsveranstaltung, die am morgigen Abend von der Gesellschaft für Hirnforschung im Museum am Quai Branly veranstaltet wurde.
    »Keine Sorge.«
    Nachdem Benoît sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte, erkundigte er sich:
    »Na, hast du deinen Pseudologen wiedergesehen?«
    »Ja, und du hattest recht«, meinte Cyrille mit einem kleinen triumphierenden Lachen.
    »Julien Daumas hat ein Problem, nicht ich!«
    Benoît schnalzte mit der Zunge und trank sein Weinglas leer.
    »Julien Daumas, sagst du?«
    »Ja.«
    Schweigend sah er Cyrille einen Moment lang an. Sie runzelte die

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