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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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haben Sie sauber eingefädelt!«
    »Wie bitte?«
    Manien verzog wenig freundlich das Gesicht.
    »Blake zu heiraten … Ein meisterhafter Schachzug für Ihre Karriere!«
    Cyrille ging nicht weiter darauf ein und zwang sich zur Zurückhaltung.
    »Ich habe Ihre Arbeit immer respektiert, respektieren Sie also auch die meine. Ich bitte Sie lediglich um die Aushändigung dieser Krankenakte.«
    Ohne sie eines Blickes zu würdigen, drückte Manien erneut auf die Ruftaste des Aufzugs.
    »Sie verdienen vielleicht Geld damit, den Leuten mit ihren sogenannten Wundermethoden Träume zu verkaufen. Aber mich beeindruckt das nicht. Weder Ihre kleinen ›Glücks‹-Kuren noch Ihre kitschigen Bücher werden mich umstimmen. Ich schätze die Arbeit Ihres Mannes, den ich schon lange kenne. Was die Ihre angeht, so ist das eine andere Sache.«
    Cyrille betrachtete das Profil ihres ehemaligen Vorgesetzten und bemerkte die Haarbüschel, die aus seinen Ohren sprossen, und die Mitesser auf der Nase. Es war das erste Mal, dass ein Mitarbeiter von Sainte-Félicité ihr offen sagte, was er von ihrer Laufbahn hielt. Sie war fast erleichtert.
    Auf keinen Fall durfte sie mit der gleichen Aggressivität reagieren. Sie schlug einen sanften Ton an:
    »Sollte diesem Patienten irgendetwas zustoßen, dann mache ich Sie dafür verantwortlich, weil Sie mir nötige Informationen vorenthalten haben. Und ich werde mich nicht scheuen, das auch publik zu machen.«
    Rudolph Manien drehte sich um und sah sie zum ersten Mal direkt an.
    »Ich kann Ihnen ohnehin nicht helfen.«
    Cyrille bemerkte die leichte Veränderung seines Tons. Das war ein gutes Zeichen.
    »Ich brauche diese Akte, Rudolph«, säuselte sie.
    Manien blinzelte, die Kühnheit seiner ehemaligen Studentin verblüffte ihn. Die Aufzugtüren öffneten sich.
    »Ich habe sie nicht mehr. Alle Akten bis zum Jahr 2001 sind im Zentralarchiv eingelagert worden.«
    Manien trat in die Kabine, schob den Schlüssel in das Schloss, das dem Personal Zugang zu der Abteilung »Geistes- und Hirnkrankheiten« gewährte, und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken. Die Tür schloss sich vor seinem Patriarchengesicht.
    Verdammt!
    Cyrille verharrte eine Weile vor dem Lift. Sie war gescheitert. Herrgott! Sie verabscheute es, zu verlieren. Sie sah auf ihre Uhr, sie musste schleunigst ins Zentrum zurück. Sie öffnete die Brandschutztür, die auf den Innenhof des Krankenhauses führte, und ging zum Parkplatz. Ein Dialog unter Tauben, der mir nur die Erkenntnis gewährt hat, dass ich als Karrieristin gelte, die sich hochgeschlafen hat, bravo! Cyrille sah eine Bank und hielt inne. Ihr rechter Schuh drückte unerträglich. Das Pflaster hatte sich aufgerollt, und ein Hautfetzen löste sich von ihrer Ferse. Die Blase war aufgeplatzt. Sie glättete das verklebte Pflaster und drückte es provisorisch wieder auf die offene Wunde, um bis zur Klinik durchzuhalten. Plötzlich ein Flash. Tiere ohne Augen. Meine Lily, die einen schwermütigen Tango spielte. Sie erschauderte und vertrieb das Bild wie einen lästigen Fliegenschwarm.
    Als sie den Kopf hob, stellte sie fest, dass sie gegenüber dem Lieferanteneingang der Abteilung B saß. Ein brauner Granitblock mit vergitterten Fenstern auf zwei Stockwerken. Soweit sie sich erinnerte, befand sich das Schwesternzimmer links vom Empfang. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie erhob sich und lief humpelnd zu jenem Ort, den sie nie wieder hatte betreten wollen.
    *
    Am Eingang ein Sicherheitssystem mit Digitalcode und Sprechanlage. Cyrille Blake klingelte und stellte sich vor. Ein Klicken, die Tür öffnete sich.
    Sobald sie den Flur der Abteilung betrat, schlug ihr ein Geruch nach Erbrochenem und Desinfektionsmittel entgegen. Sie erkannte die Schwingtüren, die zu ihrer Rechten zur Abteilung B führten, wo die schwersten Fälle, die stetige Überwachung erforderten, untergebracht waren. Man hörte Stöhnen. Irgendwo schrie ein Mann in einer unverständlichen Sprache.
    Sie wandte sich nach links und drückte die Tür auf, die zur Ambulanz führte, wo die Sozialfälle abgefertigt wurden. Es war noch nicht spät, doch bereits ein Dutzend Menschen wartete auf grauen Plastikstühlen darauf, dass sich jemand ihrer annahm. Eine in mehrere Schals gehüllte Frau hielt ein weinendes Baby im Arm, ein bärtiger Obdachloser, um einen Fuß eine Plastiktüte gewickelt, den Blick ins Leere gerichtet, eine schmutzige, verwahrlost wirkende Frau, die auf ihrem Sitz vor und zurück schaukelte. Cyrille hatte den

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