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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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zuckte gereizt mit den Schultern.
    »Das geht zu weit, Benoît. Hör auf, ich habe Kopfschmerzen und einen grauenvollen Tag hinter mir.«
    »Grauenvoll? Ach, glaubst du denn, ich bin entspannt bei all diesem Druck?«
    »Lass mich durch, ich will ein Schlafmittel nehmen.«
    Er versperrte ihr den Weg.
    »Hast du während der klinischen Ausbildung etwa auch mit ihm geschlafen?«
    Cyrilles Antwort kam wie aus der Pistole geschossen:
    »Du bist ja total krank!«
    Benoît packte sie beim Arm.
    »Ich, krank? Das sagst du wegen meines Problems, was?«
    »Wie bitte?«
    »Als mich der Dekan zu meiner Arbeit beglückwünschte, hat er mir einen ironischen Blick zugeworfen. Womöglich wissen schon alle Bescheid.«
    »Aber Benoît, wovon redest du?«
    »Ah, das wird ihn belustigen! Blake kann nicht mal richtig schreiben!«
    Cyrille spürte, wie Zorn in ihr aufstieg.
    »Das reicht! Niemand weiß es, außer dir, deinem Neurologen und mir! Und jetzt lass mich los und beruhige dich, dann gehen wir ins Bett!«
    Benoîts Griff um den Arm seiner Frau wurde fester.
    »Du tust mir weh, Benoît.«
    »Sprich nie wieder so mit mir! Hörst du? Nie wieder! Ich bin nicht zurückgeblieben!«
    Cyrilles Augen weiteten sich. Benoît sah seine Frau an, und plötzlich ließ er sie, wie vom Blitz getroffen, los und sank aufs Bett.
    »Entschuldige, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
    Cyrille rieb sich den Arm, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie war außerstande zu antworten. Ihr Mann streckte ihr die Hand entgegen, doch sie hatte nicht die geringste Lust, sie zu ergreifen.
    »Verzeih mir, Liebling, bitte«, stammelte Benoît jämmerlich.
    Cyrille war zu schockiert, um sich vom Fleck zu rühren.
    »Ich nehme eine Tablette und gehe schlafen«, erklärte sie mit tonloser Stimme. »Wir reden über die Sache, aber nicht jetzt.«
    Sie flüchtete sich ins Badezimmer. Fieberhaft suchte sie im Medizinschrank nach den Schlaftabletten und schluckte eine. So einsam hatte sie sich noch nie gefühlt. Was für ein beschissener Tag.

14
    9.   Oktober, 7   Uhr   30
    Ihre neuen Wildledermokassins drückten und scheuerten an der Ferse und am Rist. Sie ärgerte sich, sie am Morgen aus der Schachtel genommen und angezogen zu haben, doch sie hatte etwas Neues tragen wollen, um den Tag gut zu beginnen. Das Ergebnis war, dass sie ihre Füße würde verpflastern müssen, sobald sie in der Klinik wäre.
    Cyrille seufzte und versuchte, an etwas anderes zu denken. Der Herbst gönnte sich heute eine kleine Atempause, es war fast frühlingshaft. Die Blätter der Kastanienbäume schienen sich nicht verfärben zu wollen, und die Luft war lau. Ideale Voraussetzungen, um alle Probleme zu vergessen und einen erfolgreichen Arbeitstag zu beginnen. Die verglaste Eingangstür glitt zur Seite.
    »Guten Morgen!«
    Belinda, die von sieben bis vierzehn Uhr am Empfang saß, schlug ihre Zeitung zu. Sie begrüßte ihre Chefin, die ihr wie gewöhnlich zunickte, doch Belinda war nicht blind. Sieht heute schlecht aus, die Frau Doktor, sagte sie sich. Die Abdeckcreme »Magic Concealer« kaschierte zwar die Schatten unter ihren Augen, doch man sah ihr an, wie müde und nervös sie war.
    Heute Vormittag musste Cyrille ihre Rede für den Kongress in Bangkok und das Mittagessen mit ihren beiden amerikanischen Geldgebern am nächsten Tag vorbereiten. Das hieß, sich mit der Bilanz des vergangenen Jahres auseinanderzusetzen, um zu sehen, welche Beträge sie für das nächste Budget erbitten müsste. Sie konnte nicht zu diesem Treffen erscheinen, ohne zumindest ein paar Zahlen parat zu haben. Doch sie fühlte sich nicht wohl; abwesend und wie in einem leichten Schwebezustand. Ihr Gehirn schien nicht in der Lage, irgendwelche Ziffern aufzunehmen.
    Sie dachte an die Szene, die ihr Benoît am Vorabend gemacht hatte, und ihr wurde klar, dass sie noch immer wütend auf ihren Mann war. Wie konnte er es wagen, sich ihr gegenüber so zu benehmen? Das war unzumutbar. Wenn er den Druck nicht mehr aushielt, sollte er sich helfen lassen, und zwar schnell! Was das »Problem« Daumas anging, so hatte es sie einen guten Teil der Nacht beschäftigt. Zwischen drei und sechs Uhr nachts hatte sie darüber nachgedacht und die Sitzungen Revue passieren lassen, um herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt sie sich hatte manipulieren lassen und welche Details ihr entgangen waren.
    Nachdem sie sich die Gespräche in Erinnerung gerufen hatte, war sie zu einem Schluss gekommen. Er hat mich aufgesucht, um mit mir über

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