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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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rechtfertigen zu müssen. Außerdem ersparte ihr das eine unangenehme Diskussion mit dem Großen Mann. Sie wollte nicht über die Szene vom Vortag sprechen, denn ihre Energie wurde anderswo gebraucht.
    Vor der Tür des Chefkrankenpflegers zögerte sie kurz. Sie wusste, dass Julien Daumas nicht mehr ins Zentrum Dulac zurückkehren würde. Er war geflohen. Das kam manchmal vor. Einige Patienten wollten nicht geheilt werden und zogen den vertrauten Zustand des Unwohlseins einer Veränderung vor. Er war ein Pseudologe, litt aber auch unter Zwangsvorstellungen und hatte sie, Cyrille, als Objekt seiner Begierde auserwählt. Sie könnte einfach aufhören, ihre Recherchen abbrechen und den Fall Daumas abschließen. Vielleicht würde nichts passieren. Aber sie wusste, dass sie dann nie mehr ruhig würde schlafen können. Sie musste die Sache auf die eine oder andere Art zu Ende führen und herausfinden, ob sie diesen Patienten vor zehn Jahren behandelt hatte. Nur Mut !
    Sie drückte auf den Klingelknopf, und ein Türgong ertönte. Das Treppenhaus war geräumig, nur zwei Wohnungen pro Etage, die Stufen waren mit einem roten Läufer bedeckt. Cyrille hörte Geräusche in der Wohnung, das Parkett knarrte, und ihr Puls beschleunigte sich leicht. Sie fühlte sich stark und selbstsicher, eine erfahrene Ärztin, die ein gut funktionierendes Zentrum leitete und mit dem künftigen Nobelpreisträger verheiratet war. Ihre Anfrage war professionell und legitim. Es ging darum, die Krankenakte eines Patienten zu finden, der potenziell gefährlich war. Sie wusste, was sie sagen würde. Sie straffte sich.
    »Hast du deinen Schlüssel vergessen?«, fragte eine Männerstimme, während sich die Tür öffnete.
    Nino erstarrte, als er Cyrille vor sich sah. Die Hand auf der Klinke, stand er verblüfft und mit offenem Mund da, ohne einen Ton herauszubringen.
    In Cyrilles Erinnerung war Nino Paci Chefkrankenpfleger sizilianischer Abstammung, um die dreißig, attraktiv, sympathisch und humorvoll, aber knallhart, wenn die Dinge auf seiner Station nicht so liefen, wie sie sollten. Ihr gegenüber hatte er sich immer freundschaftlich und höflich verhalten. Er war intelligent, integer und selbstbewusst. Einmal hatte er einen diensthabenden Arzt zurechtgewiesen, der es gewagt hatte, ihm Anordnungen zu geben, ohne »bitte« zu sagen. Paci wurde gefürchtet und respektiert.
    Cyrille lächelte, und Nino schien aus einem Traum zu erwachen. Seine Stimme traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.
    »Was hast du hier zu suchen?«
    Cyrille war wie benommen von dem unhöflichen Ton und der Tatsache, dass er sie duzte. Die Art, wie er sich in die Tür stellte, zeigte, dass er nicht die Absicht hatte, sie eintreten zu lassen. Plötzlich hatte sie vergessen, was sie sagen wollte.
    »Ich …«
    Sie hatte mit Verwunderung seinerseits gerechnet, nicht aber mit Feindseligkeit. Sie fasste sich wieder.
    »Ich bin Cyrille Blake, und ich habe vor zehn Jahren meine klinische Ausbildung in Sainte-Félicité absolviert. Darf ich hereinkommen? Es ist wichtig.«
    »Ich weiß, wer du bist. Was willst du?«
    Wieder dieses Duzen und keine Anstalten, sie hereinzubitten. Das fiel Cyrille zwar auf, aber dennoch klang ihre Stimme ruhig, als sie erklärte:
    »Ich werde Sie nur fünf Minuten stören.«
    Sie trat einen Schritt auf Nino zu, sodass sie ihn fast berührte. Der Krankenpfleger runzelte die Stirn und ließ sie schließlich vorbei.
    Cyrille betrat ein gemütliches Wohnzimmer. Wäre sie nicht so verunsichert gewesen, hätte sie die Sammlung teurer Vasen, die hübschen chinesischen Lampen aus Reispapier und die Art-déco-Möbel bemerkt. Sie setzte sich auf das schwarze Sofa mit den roten Kissen und bewunderte die Orchideen auf der Fensterbank und die Shodo an der Wand.
    »Hübsch …«
    Nino nahm auf der Couch ihr gegenüber Platz und griff nervös nach einer Schachtel Zigaretten, die auf dem modernen Couchtisch aus Glas und Chrom lag. Ohne sie ihr anzubieten, zündete er sich eine an. Er schlug die Beine übereinander und nahm hektisch einige Züge. Cyrille saß aufrecht da, die Hände auf den Knien.
    »Wie Sie vielleicht wissen, leite ich seit fünf Jahren das Zentrum Dulac. Letzte Woche ist ein Patient zu mir gekommen, vor allem wegen seiner Albträume.«
    Sie räusperte sich, ihre Kehle war trocken, die Zunge pelzig, so als hätte sie seit Tagen nichts mehr getrunken. Nino Pacis beharrliches Schweigen machte ihr jedes Wort schwer.
    »Offenbar, das heißt, nein, ich bin sicher, ist

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