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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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seine Beute aufmerksam. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
    »Sag bloß, du hast eine Katzenallergie?«
    Der Koloss schniefte. Seine Augen waren gerötet, sein Atem ging pfeifend, er bekam keine Luft mehr durch die Nase, und der Rotz lief ihm übers Kinn. Ja, von Kind an war er allergisch gegen Katzenhaare. Julien begann nervös zu lachen und legte sein Skalpell zur Seite.
    »Heute ist mein Glückstag!«
    Julien griff nach den Kissen von Ronda, dem ältesten Kater seines Zoos, der darauf eine dicke Schicht schwarz-weiße Haare zurückgelassen hatte, und drückte es dem Ringer aufs Gesicht. Er zählte: »Eins, zwei, drei, vier, fünf«.
    Der Koloss zappelte in seinem Sessel. »Sechs, sieben, acht, neun.« Bei »zehn« hörte Julien auf und zog das Kissen weg, er wollte ihn schließlich nicht ersticken. Der Atem des Sumoringers ging stoßweise, kurz und rasselnd, er schnappte verzweifelt nach Luft.
    »Wenn du mir nicht sagst, wer dich geschickt hat, lasse ich dich an diesem Asthmaanfall krepieren. Wenn du redest, hole ich dir Ventoline-Spray aus dem Badezimmer.«
    Der Dicke hatte absolut keine Lust zu leiden, der Auftrag war ohnehin verpatzt. Alles, was er jetzt wollte, war, dass dieser Verrückte ihm etwas von dem Inhalationsspray gab, sonst würde er krepieren.
    »Die Typen vom Krankenhaus.«
    »Welches Krankenhaus?«
    »Die Klapsmühle im fünfzehnten Arrondissement.«
    Vor Überraschung ließ sich Julien Daumas in einen Sessel sinken.
    »Sainte-Félicité?«
    »Ja, genau.«
    »Und was wollten sie?«
    »Dass du für immer den Mund hältst.«
    Eine halbe Stunde später war Julien verschwunden und hatte den Sumoringer an seinen Sessel gefesselt, das Mundstück des Ventoline- Sprays im Rachen, zurückgelassen. Bis es ihm gelänge, sich zu befreien, wäre Julien längst über alle Berge.
    *
    Doktor Mathias Mercier schnalzte mit der Zunge – ein Zeichen dafür, dass er intensiv überlegte. Er sah Cyrille Blake nach, die, einen Kaffeebecher in der Hand, den Personalaufenthaltsraum verließ und in ihr Büro zurückkehrte. Mercier, ein kleiner kahlköpfiger Mann mit Brille, Spezialist bei der Auswertung von Zerebralaufnahmen, hätte nicht genau sagen können, was ihm seit einigen Tagen am Verhalten seiner Chefin auffiel. Das Zentrum Dulac war eine kleine Familie, in der sich alle, die dort arbeiteten, gut kannten. Seit Beginn dieses Abenteuers war Cyrille Blake wie ein Fels in der Brandung gewesen, bereit, die anderen zu stützen. Schwierige Fälle, Budgetdefizite und ein Prozess hatten sie offenbar nicht erschüttern können – zumindest hatte sie sich nichts anmerken lassen. Und plötzlich, seit drei oder vier Tagen, wirkte sie abwesend und zerstreut.
    Normalerweise blieb sie fast immer nach dem Mittagessen in der Halle, um bei einer Tasse Kaffee mit ihren Kollegen zu diskutieren. Eine Ausnahme machte sie nur, wenn sie Termine oder Sprechstunde hatte. Doch das war im Augenblick nicht der Fall. Noch dazu kam sie von einem wichtigen Mittagessen zurück, bei dem es um die Zukunft der Klinik ging. Anlass genug, sich mit den Kollegen und Angestellten zu besprechen und auf informelle und kameradschaftliche Art die Richtung für das kommende Jahr festzulegen. Aber nein. Als sie in den Aufenthaltsraum gekommen war, um sich einen Kaffee zu holen, hatte sie nur eine kurze Zusammenfassung ihres Gesprächs gegeben und war gleich wieder verschwunden. Das Minimalprogramm. Irgendetwas stimmte nicht. Vielleicht war sie krank … Mercier kratzte sich am Kopf. Wenn Cyrille Blake das Handtuch warf, musste er die Sache in die Hand nehmen.
    *
    Cyrille ging die wenigen Stufen zu ihrem Büro hinauf, der einzige Ort, an den sie sich zurückziehen und nachdenken konnte. Es war fünfzehn Uhr, Zeit für Julien Daumas’ Termin. Er hatte ihn weder abgesagt noch verlegt. Sie wollte an die Möglichkeit glauben, dass er doch ins Zentrum zurückkehrte. Marie-Jeannes Büro war unbesetzt, aber ihre Handtasche und der rot-weiß gemusterte chilenische Poncho verrieten, dass sie sich irgendwo im Haus aufhielt.
    Cyrille Blake setzte sich in ihren Sessel und drehte ihn zum Fenster. Der Bambusstrauch war offenbar schon wieder gewachsen und wiegte sich anmutig im Wind. Wenn sie nur ihre Gedächtnislücke schließen könnte … Sie hatte das Gefühl, zu versinken. Eine eiserne Hand drückte ihr die Kehle zu, und der Kloß in ihrem Magen schien stetig weiter zu wachsen. Das Mittagessen war gut verlaufen, aber die Ziele, die ihr vorgegeben worden waren,

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