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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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behandeln. Ich will nicht, dass irgendjemand in der Klinik davon erfährt.«
    Nino trank schweigend sein Bier. Dann stellte er die Flasche betont langsam auf den Tisch.
    »Hör zu, ich war bereits für dich im Archiv, das ist schon eine ganze Menge.«
    Cyrilles Miene verfinsterte sich.
    »Ja, das ist mir durchaus klar, aber ich brauche deine Hilfe noch einmal.«
    In dem Augenblick, als sie den Satz aussprach, wusste sie, dass sie weder die richtige Formulierung noch den richtigen Ton gewählt hatte. Sie war zu fordernd. Eine Berufskrankheit. Das war auch Nino nicht entgangen, der sich zurücklehnte. Nach einer Pause erklärte er mit ausdrucksloser Stimme:
    »Du scheinst wirklich massive Probleme zu haben, aber ich bin nicht dein Angestellter. Seit zehn Jahren hast du dich nicht gerührt, und plötzlich tauchst du mit einer völlig verrückten Geschichte auf und verlangst, dass ich dir helfe. Ich glaube, ich habe schon genug getan.«
    Cyrille wickelte den Teebeutel um ihren Löffel, ließ ihn abtropfen und versuchte einzulenken.
    »Das ist natürlich absolut richtig. Ich habe nicht das geringste Recht, dich um irgendetwas zu bitten – außer um Entschuldigung, was ich hiermit tue. Und du sollst wissen, dass ich mich nicht aus böser Absicht zurückgezogen habe, und ich versuche auch nicht, dich zu manipulieren.«
    Nach einer Pause fuhr sie fort:
    »Ich leide unter einer lakunären Amnesie und einer Prosopagnosie.«
    »Einer was?«
    »Einer Unfähigkeit, die Identität einer mir bekannten Person anhand seines Gesichts zu erkennen, das gilt vor allem für Julien Daumas.«
    »Woher kommt das?«
    Cyrille senkte den Kopf.
    »Da ich meines Wissens weder einen Unfall noch einen psychischen Schock erlitten habe, ist es wohl auf schlechten oder exzessiven Konsum einer psychotropen Substanz zurückzuführen.«
    »Was heißt das?«
    »Drogen.«
    »Ich habe schon immer gewusst, dass du eine Delinquentin bist!«, rief Nino sarkastisch.
    Cyrille saß wie versteinert da, und Nino fragte ernst:
    »Und unter welchen Umständen hast du diese Drogen geschluckt?«
    Cyrille senkte den Blick.
    »Das spielt keine Rolle.«
    Darüber würde sie auf keinen Fall reden.
    »Welche Art Substanzen waren das?«
    »Keine Ahnung. Drogen wie Scopolamin beispielsweise, das in bestimmten halluzinogenen Pflanzen vorkommt, können zu dieser Art von Teilamnesie führen. Oder auch die Chemikalie GHB, die Vergewaltigungsdroge …«
    Nino nickte.
    »Also gut, und was erwartest du von mir?«
    »Ich möchte, dass du mir hilfst, den Frontalkortex zu stimulieren, jene Stelle, wo man das Zentrum des Langzeitgedächtnisses vermutet. Es sind noch keine Tests an Menschen vorgenommen worden, aber ich habe gelesen, dass ein Team der New Yorker Universität bei Mäusen sehr gute Resultate erzielt hat. Sie haben versucht, durch transkranielle Stimulation das Fortschreiten der Alzheimererkrankung zu stoppen. Also gehe ich davon aus, dass es auch hilfreich sein könnte, um Erinnerungen zu beleben. Es ist ihnen gelungen, die Verbindungen bis hin zum Hippocampus zu aktivieren, dem für die Gedächtniskonsolidierung zuständigen Teil.«
    »Willst du das mit dem Gerät machen, mit dem ich dich vorhin habe arbeiten sehen?«
    Cyrille senkte die Stimme.
    »Genau. Parallel dazu möchte ich mir Tacrin nasal applizieren.«
    »Das Alzheimermedikament?«
    »Ja, das hilft, das Gedächtnis zu mobilisieren. Normalerweise verabreicht man es, wie du weißt, oral, aber ich habe von ersten Versuchen eines Teams in Pasadena gelesen, die es nasal eingesetzt haben, sodass die Substanz über die Nasenschleimhaut direkt ins Gehirn gelangt, was zu einem schnelleren und überzeugenderen Ergebnis führt. Auch diese Tests sind an Mäusen vorgenommen worden.«
    Nino runzelte die Stirn.
    »Das ist aber recht gewagt.«
    »Mag sein, aber ich möchte die Wirkung zweier Behandlungen miteinander koppeln, denn mir bleibt nicht viel Zeit. Ich kann nicht ein paar Jahre auf eine Validierung der klinischen Tests warten. In einer Woche bin ich in Bangkok bei dem wichtigsten Kongress des Jahres, und da muss ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte sein.«
    Diese letzten Worte verrieten Cyrilles Nervosität, ihre Angst vor einer unbekannten und beunruhigenden Zukunft. Was sie verschwieg, war, dass sie die Gesichter ihrer Geldgeber vor Augen hatte, die von ihr eine tadellose Präsentation erwarteten. Sie dachte auch an den Nobelpreis, der in drei Wochen verliehen würde, und an die Folgen, wenn bekannt würde,

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