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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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lächelte schwach. Nino hockte sich neben sie auf den Stuhl.
    »Und, hat es dir geholfen?«
    »Es hat mir die Möglichkeit gegeben, einige Details wachzurufen.«
    »Aber nichts über Daumas?«
    »Fehlanzeige.«
    »Und über Thailand?«
    »Nichts, was ich nicht schon wusste.«
    Cyrille ließ die Schultern kreisen, um sich zu entspannen, und erhob sich. Die Erinnerung war ein wichtiger Baustein auf dem »Weg zum Glück«. Sie war in gewisser Hinsicht der Dachboden, auf dem das verlorene Paradies oder all unser Unglück verborgen lag. Ohne Erinnerungen war der Mensch nichts als eine leere Hülle. Sie fühlte sich plötzlich, als wäre sie hundert Jahre alt. Sie bedankte sich bei Nino, verabschiedete sich und ging nach oben, um ihre Sachen zu holen. Sie hatte die Gesichter ihrer Eltern vor Augen und den melancholischen Klang des Bandoneons, das ihr Vater spielte, im Ohr.

20
     
    Sobald Marie-Jeanne zu ihrem Yogakurs aufgebrochen war, bezog Julien seinen Beobachtungsposten an dem Fenster, das auf die Straße führte. Er achtete darauf, dass man ihn von draußen nicht sehen konnte. In der Hand hielt er die Kopie eines Zeitungsausschnittes aus dem Jahr 1991, den Marie-Jeanne im Internet gefunden und ausgedruckt hatte. Er hatte ihn in ihrer Handtasche entdeckt. Er war verwirrt und wusste nicht, was der Inhalt des Artikels zu bedeuten hatte. Cyrille Blake musste sich erklären, und zwar schnell. Gegen zwanzig Uhr parkte ihr Mini vor dem Haus. Julien schlüpfte in ein schwarzes T-Shirt und nahm den Schlüssel zur Verbindungstür. Er trat auf den Gang und drehte die Glühbirne aus der Lampe. Sobald es dunkel war, öffnete er die Tür zum Vorratsraum, versteckte sich hinter dem Wäschetrockner und lauschte auf die Geräusche im Haus. Irgendwo wurde ein Schlüssel im Schloss umgedreht, eine Tür öffnete sich und fiel wieder ins Schloss. Man hörte drei Dinge auf das Parkett fallen, sicher ein Paar Schuhe und eine Handtasche. Dann eine erschöpfte Stimme:
    »Benoît? Ich bin es.«
    Schritte, die sich näherten. Die Tür des großen amerikanischen Kühlschranks öffnete sich, Julien hörte das Zischen einer Mineralwasserflasche, die geöffnet wurde. Er richtete sich auf. Sie war allein, jetzt oder nie! Auf leisen Sohlen schlich er zur Tür und legte die Hand auf die Klinke, hielt dann aber inne.
    »Tut mir leid, Liebling, ich musste einem Journalisten ein Interview geben, das angeblich nur fünfzehn Minuten dauern sollte, sich dann aber über eine ganze Stunde hingezogen hat. Wie geht es dir? Du siehst müde aus.«
    Benoît Blake.
    Julien trat den Rückzug an und lauschte.
    »Ich bin fix und fertig. Macht es dir etwas aus, wenn wir das Essen auf morgen verschieben? Ich habe einen Migräneanfall und werde eine Tablette nehmen und ins Bett gehen.«
    »Was ist denn los?«
    »Ich bin sicher überarbeitet. Ich lege mich hin.«
    »Ist dein Mittagessen gut verlaufen?«
    »Ja, ich erzähle es dir morgen ausführlicher, im Moment kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen.«
    »Willst du nicht zu Abend essen?«
    »Nein, ich fühle mich wirklich nicht wohl.«
    »Kann ich etwas für dich tun?«
    »Nein, mach dir keine Gedanken, ich brauche nur eine Tablette und ausreichend Schlaf.«
    Dann kehrte Schweigen ein, und schließlich hörte Julien den Ehemann murmeln:
    »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Ist zwischen uns alles okay? Ich meine wegen neulich Abend. Es tut mir wirklich leid. Ich hatte zu viel getrunken. Diese Phase ist stressig für mich, und dieser Tardieu geht mir unglaublich auf die Nerven. Wenn du wüsstest, was er wieder in der Presse angedeutet hat …«
    »Lass uns später darüber reden. Ich muss jetzt wirklich ins Bett.«
    Julien erriet an dem Geräusch, dass sie ihm einen Kuss gab, dann war eine Weile nichts mehr zu hören. Schließlich ertönte der Fußballkommentar im Fernsehen.
    Der junge Mann dachte einen Moment nach.

21
    11.   Oktober
    Cyrille wachte um sechs Uhr morgens auf. Obwohl sie fast zehn Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich wie zerschlagen. Die TMS hatte sie völlig ausgelaugt. Als Erstes schaltete sie das Handy ein. Auf dem Display sah sie, dass Nino zweimal versucht hatte, sie zu erreichen, allerdings ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Zehn Jahre hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, und seit vierundzwanzig Stunden waren sie quasi unzertrennlich … Was das Leben doch manchmal für Überraschungen bereithielt! Sie würde ihn später anrufen.
    Rasch stellte sie sich unter die

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