Begraben
habe ich dir mitgebracht.«
Nino zog drei kleine Fläschchen »Smoothies«-Fruchtsaft und eine kleine Schachtel guter Schokoladenbonbons aus seiner Tasche. Cyrille sah auf die Geschenke und lobte innerlich die Feinfühligkeit des Krankenpflegers.
»Das ist gut fürs Gemüt und hat viele Vitamine für die Gesundheit.«
Clara Marais schielte auf die Schokolade.
»Darf ich?«
Sie zog die Hände unter dem Tisch hervor, öffnete das blaue Band und schob ein Bonbon in den Mund. Sie lächelte. Sie hatte ihrer Zimmernachbarin Nadia eine unglaubliche Geschichte zu erzählen.
»Wir sind hergekommen, Clara, weil ich in Sainte-Félicité arbeite und eine kleine Umfrage über die Qualität der Behandlung dort durchführe.«
Bei der Erwähnung der psychiatrischen Klinik zeigte Clara keine Reaktion, so als hätte sie den Namen nie gehört. Sie lutschte ihr Schokoladenbonbon und fädelte weiter ihre Perlen auf.
»Du kennst doch Sainte-Félicité, nicht wahr?«
»Natürlich, ich habe ja einige Zeit dort verbracht.«
Sie hatte das ruhig und unbeteiligt gesagt. Nino hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. Auch Cyrille konnte es nicht glauben.
»Weißt du, warum du dort warst?«, fragte sie.
Clara hob flüchtig den Blick zu ihr und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Perlen.
»Weil ich mir die Pulsadern aufgeschnitten habe und meine Eltern nicht wollten, dass ich sterbe … Das vermute ich zumindest.«
Sie brachte die beiden Sätze leicht ironisch lächelnd hervor. Sie hatte keine Schwierigkeiten, über ihre Probleme zu sprechen. Es machte ihr offenbar nicht mehr aus, als übers Wetter zu reden oder über die Geschichten, die sie in der Zeitschrift People las, denn das war etwas, was man seit Jahren jeden Tag von ihr wissen wollte: Warum sie sich unnütz, hässlich und ungeliebt fühlte, warum sie oft den Wunsch hatte, aus dem Fenster zu springen … Seltener fragte man sie nach der Freude, die sie empfand, wenn sie Barbara sang, deren gesamtes Repertoire sie beherrschte. Die Sängerin gehörte zwar der Generation ihrer Eltern an, doch ihre Chansons berührten sie sehr. Und niemand hatte sich nach den Schauspielern erkundigt, für die sie schwärmte, nach ihren Träumen.
»Und ging es dir bei deiner Entlassung aus Sainte-Félicité besser?«
»Ah ja, das kann man nicht anders sagen.«
Sie lachte, und Nino sagte sich, dass dieses fröhliche Lachen ein eigenartiger Kontrast zu ihrem ungepflegten Körper war.
»Und wie fühlst du dich jetzt?«, fuhr Cyrille fort.
Clara kniff die Augen zusammen und fädelte drei blaue Perlen auf, die den Schwanz des Krokodils bilden würden.
»In meinem Kopf war ich leicht wie eine Feder. Alles schien mir wieder möglich, eine richtige Wiedergeburt.«
»All deine Probleme waren gelöst?«
»Ja, das kann man durchaus behaupten, sie waren wie weggeblasen.«
»Du bist also der Ansicht, dass du dort gut behandelt worden bist?«
»So gut es möglich war.«
Nino biss sich auf die Unterlippe.
»Du bist im April im Jahr zweitausend eingewiesen worden, ja?«
»Ich glaube schon. An Ostern. Ich war bis zum Ferienanfang Ende Juni dort. Danach bin ich mit meinen Eltern nach Spanien gefahren.«
»Und weißt du noch, welche Therapie du dort bekommen hast und wer dein Arzt war?«
»Der Chefarzt hieß Professor Manien. Was die Therapie angeht, so habe ich, wie alle anderen auch, Medikamente und psychiatrische Behandlung bekommen.«
Ninos Blick verfinsterte sich.
»Und das hat also gut geholfen?«
»Fantastisch …«
Cyrille nahm ein Schokoladenbonbon.
»Und trotzdem bist du heute hier?«
Clara verknotete die beiden Nylonfäden am Schwanzende des Krokodils.
»Nach meiner Entlassung ging es mir wirklich gut. Das weiß ich genau, weil ich Tagebuch schreibe und dauernd notiert habe ›Alles ist super‹, ›Ich liebe das Leben‹ und solche Sachen. Nach dem Winter hat sich mein Zustand dann wieder verschlechtert. Und das ist von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Also komme ich in regelmäßigen Abständen hierher, um mich wieder zu fangen.«
»Weißt du, woran du leidest?«
»Sie sagen, es handele sich um eine bipolare Störung, das heißt, ich bin im Wechsel manisch und depressiv. Aber ich empfinde das nicht so.«
»Was meinst du denn?«
»Dass alles in Ordnung ist. Ja, insgesamt ist alles ganz okay.«
»Aber nicht immer?«
»Nein, nicht immer«, wiederholte sie und starrte auf einen Punkt hinter den beiden Besuchern.
Nino kratzte sich am
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