Begrabene Hunde schlafen nicht
an
ihm vorbeigingen. Es war ein Gefühl, als würden wir an einem
Felskoloß vorbeigehen, der jeden Moment kippen und uns
zerschmettern konnte. Aber nichts geschah. Wir kamen mit
heiler Haut hinaus.
Das Mädchen mit Namen Marit saß am Computer. Ihre Nase
war jetzt, da wir sie im Profil sehen konnten, noch schärfer, und
hatte eine ziemliche Krümmung, wie ein Vogelschnabel.
Sie wandte sich uns zu.
Axel Hauger beugte sich über den Schreibtisch. »Hast du –
einen Kugelschreiber?«
Sie reichte ihm einen Stift, und er beugte sich über den Tisch,
um den Schuldschein gegenzuzeichnen.
Zu irgendeinem Punkt über meiner Schulter sagte sie:
»Rechtsanwalt Hellesø hat angerufen. Er sagte, es sei wegen
Backer-Steenberg.«
Svein Grorud war uns gefolgt. Er füllte die ganze Türöffnung
mit seiner Schulterbreite.
Axel Hauger hatte zu schreiben aufgehört. Noch immer vornübergebeugt, sah er auf.
»Er schlug vor, daß ihr euch treffen solltet, morgen, im Laufe
des Tages.«
Grorud sah Hauger an, der unmerklich nickte.
»Wenn du zurückrufen könntest.«
Er nickte kurz.
Hauger richtete sich auf, sah flüchtig auf das, was er geschrieben hatte, und reichte das Papier Vassenden.
Der nahm es entgegen, aber Hauger ließ nicht los. »Denk an
das, was ich gesagt habe.«
»Ich denk’ dran.« Er vermied es, Grorud anzusehen.
Hauger gab ihm das Papier. Vassenden zog es augenblicklich
an sich und warf einen schnellen Blick darauf, dann faltete er es
zusammen und steckte es in die Innentasche seiner Jacke.
Wir sahen einander an. Ich nickte in Richtung Tür.
Einen Augenblick lang schien es immer noch so, als könnte
alles passieren.
Dann löste sich die Situation auf. Hauger durchquerte den
Raum und ging an Grorud vorbei wieder in das hintere Büro.
Vassenden ging hinaus auf den Flur.
Grorud und ich wechselten einen allerletzten Leibwächterblick, wie zwei bewaffnete Grenzsoldaten in der Todeszone
zwischen zwei verfeindeten Nationen, bevor wir einander den
Rücken zukehrten und jeder seines Weges ging.
Als er im Büro verschwunden war, drehte ich mich zu Marit
um und zwinkerte ihr zu.
»Veum!« sagte Vassenden ungeduldig von draußen.
Plötzlich wurde die Haustür geöffnet. Durch den Flur hörte
man das Geräusch schneller Schritte auf hohen Absätzen.
Ich trat zur Seite, um sie hereinzulassen, und ein paar Sekunden standen wir in der Tür und sahen einander nur an.
Ihr Haar war dunkel, mit einem tiefroten Grundton. Sie trug
eine elegante, taillierte Jacke aus grünem Leder, einen kurzen
schwarzen Rock, grauschimmernde Strümpfe und hochhackige
rote Schuhe.
Mir begann das Herz in der Brust zu klopfen, als würde es ihm
da drinnen plötzlich zu eng und es müßte hinaus.
Als sie an mir vorbei ins Zimmer ging, streckte ich die Hand
aus, wie um sie zurückzuhalten, und sagte: »Merete? Bist du
nicht …?«
Sie wandte sich zu mir um, verwundert, als fragte sie sich, ob
ich sie angesprochen hatte. Mit frostigem Blick – und ihre
Stimme war auch nicht viel wärmer – sagte sie: »Sie müssen
mich mit jemandem verwechseln. Ich heiße nicht Merete.«
5
Ich fühlte mich wie eine der Hauptpersonen in einer schlechten
Komödie. »Aber«, sagte ich, »es ist lange her. Im Frühling –
1965 muß es gewesen sein.«
»Aber ich sage doch, Sie irren sich.«
»Ich vergesse nie ein – Gesicht.«
Sie errötete unter der Schminke.
Marit verfolgte den Auftritt von ihrem Platz hinter dem
Schreibtisch aus mit unverhohlenem Interesse. Jetzt erschien
auch Mons Vassenden wieder in der Tür, um zu sehen, wo ich
blieb.
»V-Veum? K-k-kommst du?«
Die rothaarige Frau wandte sich an Marit. »Ist Axel Hauger
hier?«
»Ja. Wen kann ich melden?«
»Ich bin seine Frau.«
Während Marit durchrief, übersah mich die eben Angekommene vollkommen.
»Marit hier. Frau Hauger ist hier draußen. – Gut.«
Sie legte auf, sah hoch und nickte in Richtung der gepolsterten
Tür. »Sie können gleich reingehen.«
Ich trat wieder einen Schritt ins Zimmer. »Aber Merete, Frau
Hauger …«
Vassenden faßte mich am Arm und hielt mich zurück. Sie ging
weiter, als hätte niemand etwas gesagt, öffnete die Tür, trat ins
Büro und schloß energisch die Tür hinter sich.
Ich mußte ziemlich dämlich dreingesehen haben, denn Marit
sah mich lächelnd an und machte eine Armbewegung, die
wahrscheinlich so etwas sagen sollte wie: Vielleicht klappt’s das
nächste Mal besser.
In dem Versuch, mein Gesicht zu wahren, sagte ich: »Der
funktioniert
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