Begrabene Hunde schlafen nicht
Presse faßte Interesse an einer Episode aus seiner Zeit
bei der Ordnungspolizei. Ein Mann starb im Arrest. P. E.
Jansson geriet ins Rampenlicht, der Fall kam vor das Untersuchungsgericht, das Verfahren wurde aber aufgrund einer Zeugenaussage, die Jansson reinwusch, eingestellt. Dann kam
heraus, daß dieser Zeuge bestochen war. Der Fall wurde wieder
aufgerollt. P. E. lief Gefahr, wegen Mordes angeklagt zu
werden, aber das Verfahren endete nicht vor Gericht, sondern
wurde wegen Mangels an Beweisen eingestellt, und P. E.
quittierte den Dienst. Die wenigsten zweifelten daran, daß hier
ein Mörder auf freien Fuß gesetzt wurde, und niemand wollte
hinterher auch nur über ihn reden. Niemand bei der Polizei,
meine ich.«
»Wann war das?«
»1984. Im Jahr darauf verließ er das Land – ging nach Uruguay.«
»Uruguay?«
»Er wurde als Leibwächter engagiert von einem deutschen
Geschäftsmann, der dort unten das große Geld machte, einer von
Loewes Kontakten. Und da blieb er fünf Jahre lang. Erst 1990
kam er wieder nach Hause. Da begann er seine jetzige Tätigkeit
als Geldeintreiber, Leibwächter, Wachmann bei Zusammenkünften des äußersten rechten Spektrums, als alles, wozu eine
bigotte Gesinnung und brutale Stärke vonnöten sind.«
»1990 sagst du?«
Wieder sah sie auf die Uhr. »Jetzt muß ich bald los.«
»Aber ich habe ein Foto, das P. E. Jansson in Oslo zeigt, es ist
sogar datiert: 2. März 1986.«
»Aber dann …« Sie machte große Augen. »Dann kann er zu
dem Zeitpunkt auch in Schweden gewesen sein. Du sagst, du
hast das Foto?«
Ich zog es aus der Tasche und reichte es ihr über den Tisch.
Sie klappte es auf und betrachtete es.
»Mensch!« Sie schnappte nach Luft. »Da ist ja auch Fredrik
Loewe! Die beiden anderen – die kenne ich nicht.«
»Nein, es sind Norweger. Das da ist Preben Backer-Steenberg,
und der da – heißt Thorbjørn Finstad. Er ist übrigens als einziger
noch am Leben.«
»Als – was sagst du da? Aber P. E. Jansson, meinst du, er sei
…?«
»Ja. Er wurde in Norwegen umgebracht, aus dem neunzehnten
Stock des Oslo Plaza geworfen, letzten Donnerstag.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Doch, es ist wahr.«
Sie schielte kurz zu mir hoch. »Hast du weitere Kopien davon?«
»Nein, leider nicht.«
Sie beugte sich über den Tisch, und zum erstenmal während
unseres Gesprächs bemerkte ich ihre Brüste. Sie waren überhaupt nicht so klein, wie sie gewirkt hatten. »Ich würde ziemlich
viel darum geben, dieses Foto behalten zu dürfen, Veum.«
Hatte ich den Hintereingang zu ihrem unteren Herzen gefunden?
Ich sog ihren Duft ein, ein bescheidenes Privileg, und sagte
mit einem schiefen Lächeln: »Aber du hast wenig Zeit. Und ich
hab’ nur dies eine.«
»Hör zu! Ich habe eine Idee. Oben im Sveaväg treffe ich mich
mit einem Fotografen. Wenn wir das Foto mitnehmen, kann er
es da direkt abfotografieren. Wir bezahlen gut!«
»Geld interessiert mich nicht. Aber es könnte tatsächlich eine
nützliche Absicherung sein.«
»Phantastisch, Veum! Gehen wir?«
»Gehen wir!«
Sie streckte sich über den ganzen Tisch, legte eine kühle Hand
um meinen Nacken und gab mir einen schnellen Kuß auf die
Wange. Danach standen wir in aller Eile auf, als hätten wir
plötzlich festgestellt, daß wir zu spät zum Zug kommen würden.
Sie griff meine Hand und zog mich zum Ausgang, während sie
behende das Foto in ihre Umhängetasche steckte.
Ich glaubte mehr und mehr an die Idee mit den Tennisstunden.
Während wir den Sveaväg hinaufhasteten, wie um rechtzeitig zu
Björn Borgs Wiederkehr am östlichen Himmel zu erscheinen,
hielt sie mir einen umfassenden politischen Vortrag. »Ich dachte
auch, daß die skandinavische Sozialdemokratie Gottes Gabe an
die Menschen wäre. Das perfekte, ausgeglichene Gesellschaftssystem, das sich der Schwachen annimmt und die Starken im
Zaum hält. Aber ich habe mich geirrt. An irgendeiner Stelle, an
irgendeiner Gabelung traf jemand eine falsche Wahl. Die Ideologie wich dem Materialismus. Die roten Flugblätter wurden zu
Ikea-Annoncen. Während Studenten und Schüler am 1. Mai
demonstrierten und die rote Fahne hochhielten, saßen die
Parteiveteranen zu Hause und suchten die Fernsehkanäle nach
der Übertragung irgendeines Fußballspiels ab.«
»Wie wahr, während die anderen bei der Demo Albanien als
den Leuchtturm des Sozialismus in Europa bejubelten!«
»Sie fielen direktemang in den Graben wie elternlose Kinder.
Es muß eine Art Schuldgefühl gewesen
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