Begrabene Hunde schlafen nicht
Schattenbildern,
wie auf einem Flower-Power-Plakat Ende der Sechziger.
Sie kam mit dem Tee.
Wir tranken unvermittelt stumm, als seien ihr plötzlich die
Worte ausgegangen. Es war uns beiden aufgegangen, daß wir
einander so gut wie gar nicht kannten, ich ein privater Ermittler
und sie engagiert von einer Aushilfsvermittlung, was heutzutage
so gut wie alles bedeuten konnte, von der Prostituierten bis zur
Haushaltshilfe für Alte und Kranke.
»Ich dachte, du könntest – hier schlafen«, sagte sie mit dünner
Stimme und nickte zum Sofa.
»Das ist okay. Erzähl mir ein bißchen von dir.«
»Warum?«
»Damit wir uns ein bißchen besser kennenlernen.«
Sie sah mich über den Rand ihrer Teetasse hinweg schief an.
»Was gibt’s da zu sagen? Ich bin in Bøler aufgewachsen,
meine Mutter wohnt immer noch da, ja, du hast es eben gehört –
wir waren drei Mädchen, und ich bin die einzige … Bist du
verheiratet?«
»Ich war’s. In einer anderen Zeit. Aber ich …«
»Ja?«
»Ich habe eine – Freundin. Und du?«
»Nein, im Moment nicht, wie alt bist du?«
»Bal … Ende Vierzig.« Aber ich sagte nicht, wie nah am
Ende. Es war noch nicht Oktober.
»Dann könntest du fast – meine Eltern sind geschieden, mein
Vater wohnt in Lillestrøm, verkauft Autos, ich sehe ihn nicht
mehr so oft, aber es ist jedesmal gleich nett. Meine Mutter lebt
allein, jetzt.«
»Wie lange wohnst du hier schon?«
»Zwei Jahre. Vorher habe ich in Ulven gewohnt, aber hier
gefällt es mir besser.«
»Warum?«
»Bist du in der letzten Zeit mal in Ulven gewesen?«
»Nein. Noch nie.«
»Der ganze Stadtteil ist ein einziger großer Kreisverkehr
geworden. Die Transportlaster donnern zu jeder Tages- und
Nachtzeit in alle Richtungen vorbei. Die meisten nachts natürlich. Hier oben kannst du bei offenem Fenster schlafen.«
Ich nickte. »Sag mal, kann ich mal dein Telefonbuch benutzen?«
Sie stand auf, ging in den Flur und holte es. »Wen willst du
anrufen? Axel Hauger?«
»Zum Beispiel.« Ich begann zu blättern. »Wenigstens seine
Adresse finden.«
»Die steht nicht drin. Ich hab’ schon geguckt.«
»So? Und Svein Grorud? Ist er auch eine Fiktion?« Ich blätterte zu G. »Nein, er existiert. Privatadresse auf Aker Brygge. Er
muß gut im Geschäft sein.« Ich stand auf. »Darf ich mal
telefonieren?«
Sie zeigte zum Flur. »Wen – willst du anrufen?«
»Die Auskunft. Vielleicht kann die weiterhelfen.«
Sie folgte mir auf den Flur. An der Wand neben dem Telefon
hing ein Druck von zwei hochbeinigen Watvögeln, die irgendwo
durch das Schilf spazierten. Ein paar Schilfhalme stachen aus
einem großen emaillierten Topf heraus, den sie auf dem Boden
stehen hatte. Das gab dem Bild etwas Dreidimensionales,
vielleicht zufällig, vielleicht auch beabsichtigt.
Ich wählte 0180.
»Auskunft!«
»Ich suche eine Nummer in Oslo. Der Name ist Axel Hauger.«
»Eine Adresse?«
»Nein, leider.«
Ich hörte das Geräusch flinker Finger auf einer Tastatur.
Nach einer kurzen Pause kam: »Es gibt einen Axel Hauger im
Markvei. Könnte er das sein?«
»Jaa, wo ist das?«
»In Grünerløkka.«
»Warum steht er nicht im Telefonbuch?«
»Moment … Die Nummer ist erst zwei Monate alt. Sie kommt
erst in die nächste Auflage.«
»Dann ist er es. Kann ich die Nummer haben?«
Nachdem ich sie bekommen hatte, fragte ich: Ȇbrigens, die
Hausnummer im Markvei, wie war die gleich?«
Ich bekam auch sie.
Als ich mich bedankt und aufgelegt hatte, lächelte ich Marit
zu. »So einfach war das.«
»Aber was jetzt? Ich hoffe, du hast nicht vor, da anzurufen?«
»Nein, ich glaube nicht. Nicht heute abend.« Ich nahm das
Telefonbuch mit ins Wohnzimmer.
Sie schielte besorgt darauf. »Hast du vor, noch andere aufzuspüren – auf diese Weise?«
»Nein. Nur einen Nachnamen überprüfen.«
»Wessen?«
»Merete Haugers. Oder Sjøwold, wie sie damals hieß, als ich
ihr, tja, wie ich glaube, begegnet bin.«
Ich blätterte zu S und fand fast eine Viertelspalte mit Sjøwolls,
aber nicht so viele mit ›ld‹ am Ende.
Anhand der Adresse sortierte ich die meisten aus. »Hoffsjef
Løvenskiolds Vei – das klingt gut. Ist das nicht da drüben auf
dem Hügel?« Ich nickte nach Westen.
»Kommt sie aus solchen Kreisen? Und dann will sie nicht
zugeben, wer sie ist?«
»Snefrid Sjøwold, klingt das nicht nach einer älteren Generation?«
»Doch, aber … was hast du denn vor?«
»Ich glaube, ich statte ihr morgen früh einen kleinen Besuch
ab, wenn ich schon in dieser Gegend
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