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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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als das zu tun.
    Mutters Stimme: »Müssen wir ihm sagen, was der Direktor gesagt hat?«
    Beer hielt den Atem an. Hing es nicht von der Antwort ab, ob er seinen Eltern fortan noch vertrauen konnte?
    »Ich glaube, ja«, sagte Vater leise.
    »Vielleicht ist es besser, noch zu warten«, gab Mutter zu bedenken. »Er hat jetzt allzu viel zu verarbeiten.«
    Wieder eine bleischwere Stille.
    »Wenn wir nichts sagen, wird der Schlag nur umso größer.«
    »Es wird ihn sehr traurig machen.« Es war durch die Tür zu hören, dass Mutters Stimme zitterte.
    »Uns noch mehr«, murmelte Vater.
    Das Bett knarrte. Das Feuerzeug wurde angeknipst. Ein Seufzer.
    Dann Mutters Stimme, die wie ein Grashalm im Wind zitterte: »Thijs, kann die Schule Beer wirklich ablehnen?«
    »Ich fürchte, ja.«
    »Aber wir müssen weiterkämpfen. Notfalls bis zum Minister.«
    »Vielleicht«, sagte Vater vorsichtig, »vielleicht.«
    Und wieder die Stille, Vater und Mutter saßen im Bett und rauchten, die ungewisse Zukunft ihres Kindes wie ein Gespenst zwischen sich.
    Beer drehte sich um. Er hatte genug gehört. Er wollte in sein Zimmer zurück, denn seine Verwirrung war groß. Das Gespräch zwischen Vater und Mutter lähmte ihn fast. Noch nie hatte er den Kummer und die Sorge seiner Eltern so stark gespürt. Warum war dieser verfluchte Unfall nicht ein paar Jahre später passiert?
    Er wollte in sein Bett zurück, aber in seiner Erregung verlor er jede Orientierung. Er stolperte vor seinem Zimmer über den Wäschekorb und fiel hin.
    »Verdammt noch mal!« Wütend entfuhr ihm dieser Fluch. Er lauschte. Ja, natürlich. Vater und Mutter hatten ihn gehört. Sie sprangen aus dem Bett. Nackte Füße auf dem Linoleum. Die Schlafzimmertür ging auf.
    »Beer!« Mutters Stimme, ängstlich und unruhig.
    Vater ergriff seinen Arm und half ihm auf. »Ist was passiert?«
    »Ich . . . ich wollte zur Toilette.« Eine schnell erdachte Ausrede, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein.
    »Komm.« Jetzt nahm ihn Mutter beim Arm.
    »Wie spät ist es?«
    »Kurz nach halb zwei.«
    »Habt ihr denn noch nicht geschlafen?«
    Eine scheinbar nebensächliche Frage, doch von Beer misstrauisch gestellt, um seine Eltern zu testen. In den Abgründen des Lebens ist wenig Platz für blindes Vertrauen.
    »Nein, wir waren noch wach.«
    »So spät noch?«
    »Ja.«
    Vaters Stimme klang gleichmütig, aber Beer war sicher, dass er jetzt zu Mutter hinsah.
    »Wir hatten noch einiges zu besprechen.«
    »Über mich?«
    »Ja, auch über dich.«
    »Komm«, sagte Mutter, »es ist schon spät.«
    Beer ließ sich willig zur Toilette führen. Obwohl er gar nicht auf die Toilette musste, betätigte er die Spülung. Es kam ihm vor, als würde er von dem Wasser mit in die Tiefe gerissen. Das hatte er noch nie empfunden. Die Abgründe des Lebens gleichen wohl in mancherlei Hinsicht einer dunklen, mit Dreck gefüllten Grube.
    Dunkelheit und Stille der Nacht. Beer lag auf dem Rücken. Der Schlaf wollte nicht kommen. Er musste immer wieder an seine Eltern denken, die ihm die Wahrheit nicht gesagt hatten. Er fischte im trüben Wasser der Grube und förderte die düstersten Bilder zutage.
    Nicht in seine alte Schule zurück? Wie ungerecht das war. Hatte er nicht zu den besten Schülern seiner Klasse gehört? Vielleicht, vielleicht gab es doch noch eine Chance, wenn siedarum kämpften und mit dem Schulrat sprachen. Ob sie wirklich Unterschriften bei den Eltern seiner Mitschüler sammeln mussten, zum Beispiel bei den Eltern dieser dämlichen Mientje oder dieser Flasche Paul Jan, der sich nur mit Spicken über Wasser hielt? Lieber wollte er sterben. Warum, warum hatte dieser Gärtner seine Forke nicht auf dem Misthaufen stecken gelassen? Wütend dachte Beer an sein missglücktes Leben und an das Durcheinander, das die ganze Welt zu erfüllen schien. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere und Schreckensbilder suchten ihn heim. Und genau wie vor der schwarzen sich windenden Schlange konnte er sein Inneres nicht davor verschließen.
    Es wurde eine verzweifelt lange, dunkle Nacht für Beer. Er hatte das Gefühl, seine ganze Existenz liege in Scherben und es fehle ihm diesmal an Kraft, die Scherben zusammenzufegen. »Wäre ich doch tot«, durchfuhr es ihn. »Dann wäre ich alles los. Und Vater und Mutter auch.«
    Er war noch zu jung, um zu begreifen, dass der Weg zu den Sternen immer durch die Dunkelheit führen muss.
    Erst als ein neuer Frühlingstag mit laut zwitschernden Vögeln und dem Geratter eines frühen

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