Behandlungsfehler
nicht stimmen kann. Manchmal reicht auch ein verhältnismäßig langer Krankenhausaufenthalt – wenn zum Beispiel aus fünf Tagen zwei Wochen werden. Die Mandanten wollen einfach wissen, warum das anders als vorher geplant lief.
Häufig suchen mich die hilflosen Patienten dann auf. In vielen Fällen reicht es, den Behandlungsverlauf mit den Patienten, meinen Mandanten, durchzusprechen. Ihnen zu erklären, warum die Behandlung wie verlief. Und oft ist auch alles in Ordnung, vielleicht nicht ganz so, wie es im besten Fall hätte sein können, aber im Rahmen des Möglichen. Denn Fehler sind nicht die Regel. Manches, was passiert, ist einfach Schicksal. Pech. Falsche Zeit, falscher Ort. Oder eine Kombination aus allem. Eine Tragödie ist es aber fast immer.
Die Geschichte von Claudia Bredow zum Beispiel ist ein typischer Fall von »richtig schiefgelaufen«. Sie sollte eine neue Hüfte bekommen. Das ist eine Operation, wie sie in Deutschland im Jahr zehntausendfach durchgeführt wird, das ist Routine. Da Frau Bredow bis auf ihr Hüftproblem gesund und munter war, machten sich auch ihre Kinder keine Sorgen, auch wenn sie natürlich wussten, dass es sich schon um einen größeren Eingriff handelte. Komplikationen sind zwar prinzipiell bei jeder Operation möglich, aber wer denkt schon, dass es ausgerechnet ihn selbst treffen wird?
Frau Bredow nahm also die Operation in Angriff. Sie ging zum Arzt, der erklärte ihr alles und der OP-Termin wurde angesetzt. Am 20. des Monats sollte sie ins Krankenhaus und am nächsten Morgen sollte die Operation erfolgen. Da sie aus Angst vor einem Herzinfarkt ASS einnahm, ein blutverdünnendes Mittel, musste dieses vor der Operation abgesetzt werden. Das hatte Frau Bredow auch mit ihrem behandelnden Arzt abgesprochen und gemeinsam mit ihm einen Plan erstellt. Eine Woche vor der Operation sollte sie die Tabletten absetzen. Sie wollte sich auch Blut abnehmen lassen, damit ihr im Fall der Fälle eine Eigenblutspende helfen konnte. Eigentlich konnte gar nichts schiefgehen. Tat es dann aber doch. Claudia Bredow überlebte die Operation nicht.
Zu mir kamen ihre beiden Kinder, weil sie nicht verstehen konnten warum. Schließlich war ihre Mutter noch nicht einmal 60 Jahre alt und bis auf die Hüftarthrose und die Angst vor dem Herzinfarkt kerngesund gewesen. Und trotzdem war sie nach der Hüftoperation gestorben, verblutet. Für die Kinder ein riesengroßer Schock. Und nach dem Schock kam die Wut. Sie wollten wissen, wer daran schuld war. Dass jemand schuld sein musste, darüber waren sie sich sicher. Sie waren so wütend, dass sie am liebsten sofort die Presse einschalten und ganz Deutschland erzählen wollten, die Ärzte in der Klinik hätten ihre Mutter umgebracht.
Für mich sind solche Mandanten immer ein bisschen schwierig. Ich hatte einmal einen Fall, bei dem der Mandant
keinen Schritt ohne Presse machen wollte. Er warf dem Krankenhaus vor, ihn einfach rausgeworfen und damit lebensgefährliche Komplikationen provoziert zu haben. Ich weiß noch wie heute, wie er damals in meiner Kanzlei stand und sagte: »Und dann haben die mich einfach nach Hause geschickt!« Doch als ich die Entlassungspapiere erhalten und eingesehen hatte, war meine Überraschung groß: »Entlassen auf eigenen Wunsch. Gegen ärztlichen Rat«, stand da – schwarz auf weiß. Unterschrieben von meinem Mandanten. Mit diesem Fall wäre ich gehörig auf die Nase gefallen. Und das auch noch öffentlich.
Bei den Kindern von Frau Bredow war ich also erst einmal vorsichtig und konnte sie auch von ihrem Wunsch, alles öffentlich zu machen, abbringen. Als ich die Behandlungsunterlagen sah, entdeckte ich das Problem sehr schnell. Der Termin für die Operation war vorverlegt worden. Das kann bei OPs, die nicht als Notfall eingestuft sind, durchaus passieren und ist eigentlich auch nicht weiter schlimm. Vom 20. auf den 12. des Monats. Warum die Operation vorverlegt worden war, weiß mittlerweile niemand mehr. Auf jeden Fall war Frau Bredow gebeten worden, dass sie früher käme, und sie hatte zugesagt.
Doch niemand hatte daran gedacht, dass Frau Bredow damit auch ihre Tabletten früher hätte absetzen müssen. Zwar holte sie das im Krankenhaus nach, aber das war zu spät. Die Operation fand statt und Frau Bredow blutete sehr stark. Die Ärzte konnten diese Blutung nicht stillen. Es stellte sich eine sogenannte Verbrauchskoagulopathie ein, bei der die Blutgerinnungsfaktoren im Übermaß verbraucht werden. Im Ergebnis kann der
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