Behandlungsfehler
dass Restzweifel zurücktreten, da sie fast ausgeschlossen sind.
Den Beweis nach Paragraf 286 der Zivilprozessordnung juristisch zu führen, halte ich in vielen Fällen für unmöglich. Dann muss ich meinen Mandanten leider bereits im Vorfeld mitteilen, dass ich die Angelegenheit mangels Erfolgsaussicht nicht vertreten werde. Ihnen das zu vermitteln, fällt mir manches Mal schwer.
So kam ein Mandant zu mir und erklärte, dass es ihm nach einer Bauchoperation ganz schlecht gegangen sei. Aber niemand interessierte sich dafür, vielmehr meinte man, dass es sich um die normalen, nach einer Operation auftretenden Beschwerden handele. Sein durchsetzungsstarker Sohn organisierte kurzerhand einen Transport in die Nachbarklinik, in der ein befreundeter Arzt tätig war. Bei der Aufnahme dort stellte man eine Bauchfellentzündung und erhöhte Laborwerte fest. Der Mann wurde sofort operiert und trug glücklicherweise keinen Gesundheitsschaden davon.
Ich sah mir seine Akten an und begriff, dass er von Glück reden konnte, dass er sich hatte verlegen lassen. Aber einen Anspruch nach dem Arzthaftungsrecht würde er nicht durchsetzen können. Welchen Schaden hätten wir geltend machen können? Weil mein Mandant durch sein Glück knapp einer lebensbedrohlichen Situation entgangen ist und keinen dauerhaften Schaden erlitten hat,
hat er keinen Anspruch auf Schadenersatz. Möge er seinem Sohn für seine Weitsicht danken.
Die Beweislastumkehr
Immer dann, wenn ein »grober Behandlungsfehler« vorliegt, kehrt sich die Beweislast um. In diesen Fällen muss nicht mehr der Patient beweisen, dass der Fehler Ursache für den Schaden ist – was, wie schon gesagt, oft sehr schwierig ist. Vielmehr muss der Arzt nun beweisen, dass der Schaden auch dann entstanden wäre, wenn ihm der Fehler nicht unterlaufen wäre. Und dieser Beweis ist für den Arzt meistens genauso schwierig zu führen. Ref 7
Aber wann liegt ein »grober Behandlungsfehler« vor? In der Rechtsprechung heißt es: Wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Es muss ein Verstoß vorliegen, der »Kopfschütteln« hervorruft, es muss gegen das »Fettgedruckte« verstoßen worden sein, das Verhalten darf aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar sein.
Der grobe Behandlungsfehler kommt in allen Fallgruppen des Behandlungsfehlers vor. So wurde er schon angenommen, weil die Entzündungsparameter bei einer Gelenkinfektion nicht bestimmt worden waren oder weil durch das Öffnen des Bauchraumes die tiefen Gefäße mit dem Skalpell verletzt worden waren, sodass der Patient fast verblutete. Ebenso, weil eine histopathologische, also eine feingewebliche Abklärung eines entnommenen, auffälligen Tumors unterlassen oder weil keine Computertomografie nach einer Schädelverletzung durchgeführt wurde. Genauso dann, wenn ein Medikament trotz erheblicher Nebenwirkungen nicht abgesetzt oder auch, wenn ein sichtbarer Knochenbruch auf dem Röntgenbild übersehen wurde.
Auch mehrere Behandlungsfehler, die einzeln betrachtet nicht als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren sind, können in der Gesamtschau der Behandlung insgesamt als grob fehlerhaft eingestuft werden.
Ich habe festgestellt, dass die Gutachter immer recht zügig gefragt werden, ob denn ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Der Grund liegt wohl darin, dass es dem Patienten zugute kommt, wenn ein grober Behandlungsfehler anzunehmen ist. Wenn sich die Beweislast umkehrt, muss der Patient den oft schwierigen Nachweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Schaden nicht erbringen. Das macht es für ihn leichter. Ref 8
Wie ist es zu dieser Beweislastumkehr gekommen?
Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil vom 27. April 2004 (IV ZR 34/03) zu dem schon lange bekannten groben Behandlungsfehler Stellung genommen. Er hat ausgeführt, dass es immer zu einer Beweislastumkehr kommt, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen.
In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof seine frühere Rechtsprechung zur Folge eines groben Behandlungsfehlers geändert. Vorher vertrat er die Auffassung, dass es bei einem groben Behandlungsfehler bis hin zu einer Beweiserleichterung des Patienten kommen kann. Je nachdem, wie grob der grobe Behandlungsfehler
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