Behandlungsfehler
war. Nach der alten Rechtsprechung lag es damit im Ermessen der Gerichte zu bestimmen, wie weit dem Patienten der Beweis erleichtert wurde. Diesen Ermessensspielraum hat der Bundesgerichtshof zugunsten der Patienten abgeschafft.
Er hat das getan, weil es dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderliefe, wenn es in das Ermessen des Gerichtes gestellt würde, in welcher Form der Beweis erleichtert wird – also, welche Beweiserleichterung greifen würde. Eine flexible und angemessene Lösung wird dadurch nun erreicht, dass der Richter im Einzelfall werten kann, ob er das Behandlungsgeschehen als grob fehlerhaft einstuft oder nicht und es damit zu einer Beweislastumkehr kommt oder nicht.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es den Paragrafen 242. Dieser besagt, »dass der Schuldner die Leistung zu bewirken hat, wie Treu und Glauben nach der jeweiligen Verkehrssitte es erfordern«. Treu und Glauben ist ein übergeordnetes Rechtsprinzip,
welches nicht nur auf Schuldverhältnisse anwendbar ist. Mit diesem Rechtsprinzip hat die Rechtsprechung begründet, dass sich die Beweislast unter bestimmten Bedingungen ändert. Die Daseinsberechtigung des groben Behandlungsfehlers und die daraus folgende Beweislastverteilung zu Ungunsten des Arztes gleicht die Beweisnot des Patienten in Fällen krassen ärztlichen Versagens aus. Er kann sich dann auf die Gerechtigkeit und Treu und Glauben berufen. Das Wörtchen »grob« meint hier nicht, dass dem Arzt besonders schwere Vorwürfe gemacht werden. Es bezeichnet nicht das Maß seines Verschuldens und es geht auch nicht um Bestrafung, sondern darum, dass der Arzt bei einem groben Fehler keinen Nutzen daraus ziehen können soll, dass dem Anspruchsteller aufgebürdet wird, den oftmals schwierigen Kausalitätsnachweis erbringen zu müssen
Der Richter bekommt das letzte Wort und kann einen Behandlungsfehler als »grob« einstufen. Er wertet dabei juristisch am Maßstab von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Aussagen des Sachverständigen. Wenn der Behandlungsfehler vom Gericht als »grob« eingestuft wird, und der Fehler geeignet ist, einen Schaden der vorliegenden Art herbeizuführen, muss der Arzt haften.
Eine sichere Entscheidung darüber, welche Folgen der Behandlungsfehler hatte, kann das Gericht natürlich nur treffen, wenn der Sachverständige entsprechende Aussagen macht. Und einem Sachverständigen, der Mediziner ist und immer den Einzelfall und die vielen möglichen Faktoren im Blick hat, wird es schwerfallen zu sagen, der Schaden sei »zweifelsfrei« auf den Behandlungsfehler zurückzuführen – so eindeutig, dass die Zweifel im Sinne des Paragrafen 286 der Zivilprozessordnung schweigen. In eben den vielen Fällen, in denen der Sachverständige nicht zweifelsfrei sagen kann, welche Schäden der Behandlungsfehler verursacht hat, stellt die Beweislastumkehr eine Art »Waffengleichheit« her.
Wie das konkret aussieht, möchte ich am Beispiel des schwerkranken Mannes zeigen.
Stellen wir uns vor, das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass es einen groben Behandlungsfehler darstellt, diesem Mann nicht
vorbeugend ein Antibiotikum verordnet zu haben. Damit kehrt sich die Beweislast um: Jetzt muss der Arzt beweisen, dass der Mann auch gestorben wäre, wenn er das Antibiotikum eingenommen hätte – er also nicht an der Entzündung des Herzmuskels gestorben ist. Das ist schwierig bis unmöglich!
Steht ein grober Behandlungsfehler fest, so ist es für die Haftung des Arztes ausreichend, dass der Fehler eben grundsätzlich geeignet ist, einen Schaden der vorliegenden Art herbeizuführen. Der grobe Behandlungsfehler muss den Schaden nicht monokausal, nicht als einzige Ursache, hervorgerufen haben. Es genügt, wenn er zusammen mit anderen Ursachen den Schaden herbeigeführt haben kann und es nicht völlig unwahrscheinlich ist, dass er einen Beitrag daran geleistet hat. In dem vorliegenden Fall hat die Entzündung sicher mit zum Tod beigetragen, vielleicht nicht als einzige Ursache, aber immerhin. Damit wäre eine Haftung des Arztes gegeben.
Es bedarf einer gewissen Vorsicht, wenn man mit einem groben Behandlungsfehler argumentiert. Der Bundesgerichtshof hat in einer Reihe von Urteilen festgestellt, dass grobe Behandlungsfehler Ausnahmen sein sollten. Es sei nicht zulässig einen Behandlungsfehler ohne Weiteres als grob zu bewerten. Sicherlich ist das der Grund, warum bei vielen Gerichtsverhandlungen das Gericht mehrfach und mit unterschiedlichen Fragen an den Sachverständigen prüft, ob
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