Behandlungsfehler
man sicher sein, dass die Entzündung des Herzmuskels und der Tod des Patienten so verhindert worden wären? Es kann auch zu Entzündungen kommen, wenn der Patient Antibiotika einnimmt. Das bedeutet, dass auch eine korrekte Behandlung zu der Entzündung des Herzmuskels und zum Tod des Patienten hätte führen können.
Hier zeigt sich wieder, dass die Medizin keine Heilung garantieren kann. Die ärztliche Behandlung gibt dem Patienten eine mehr oder weniger große Heilungschance – nicht mehr und nicht weniger. Das bedeutet, dass ein Patient auch ohne Behandlungsfehler schwerwiegende Komplikationen erleiden und sterben kann. Deshalb ist es für den Patienten häufig so schwierig nachzuweisen, dass der Gesundheitsschaden bei korrekter Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre: Der Sachverständige wird in sehr vielen Konstellationen feststellen müssen, dass auch fehlerfreie Behandlungen derartige Schäden herbeiführen können. Mit dieser Aussage ist der Nachweis, dass ein Gesundheitsschaden bei korrekter Behandlung verhindert worden wäre, nicht zu führen.
Selbst wenn der Gutachter nachweisen kann, dass der Arzt versäumt hat, das Antibiotikum zu verschreiben (Behandlungsfehler), und dass der Mann gestorben ist (Schaden), stellt sich die Frage, ob die Entzündung des Herzmuskels den Tod bedingt hat.
In diesem Fall war es so, dass es sich um einen multimorbiden Patienten handelte, der intensiv-medizinisch betreut wurde. Neben dem Herzfehler hatte er auch eine entzündete Gallenblase, seine Nieren versagten und die Adern waren stark verkalkt. Der Patient hätte an jeder dieser Erkrankungen allein sterben können. Ich bin keine Fachärztin für Innere Medizin, aber ich weiß, dass wohl kaum ein Sachverständiger bereit wäre zu sagen, dass der Patient voraussichtlich deshalb gestorben ist, weil er kein Antibiotikum
bekam. Ein solches Gutachten würden wir jedoch brauchen, um den Prozess mit Erfolg zu führen und zu gewinnen.
Der Beweis
Den Beweis führen zu müssen, ist eine der Grundlagen des juristischen Denkens. Im Arzthaftungsrecht ist daher mein zentraler Gedanke: Der Patient muss die zum Anspruch führenden Tatsachen beweisen. Beweisen muss er drei Dinge, nämlich:
dass ein Behandlungsfehler vorliegt,
dass ein Schaden vorliegt und
die Ursächlichkeit, also dass der Behandlungsfehler genau zu dem aufgetretenen und bewiesenen Schaden geführt hat.
Der Beweis ist ein zentrales juristisches Problem, das sich durch das gesamte Arzthaftungsrecht wie ein roter Faden zieht. Zentrale Norm bezüglich des Beweisens ist der Paragraf 286 der Zivilprozessordnung. In diesem Paragrafen steht: »Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.«
Aber welcher Maßstab wird dabei zugrunde gelegt? Ich kann sagen: ein höchster. Es gilt der Grundsatz, dass für die Überzeugung des Gerichts ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen muss, dass er »den Zweifeln Schweigen gebietet«. Zweifel müssen nicht ausgeschlossen sein, aber das Gericht muss so überzeugt sein, dass es guten Gewissens sagen kann: Nach menschlichem Ermessen sind wir sicher, dass es so gewesen ist, und dass es auch anders gewesen sein könnte, ist nahezu ausgeschlossen. Dabei gibt es verschiedene Grade von Wahrscheinlichkeiten:
eine hinreichende, das heißt eine Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent,
eine große und
eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit.
Als Faustformel kann man sagen, dass die allerhöchste Wahrscheinlichkeit (Punkt 3) gegeben sein muss, damit ein arzthaftungsrechtlicher Anspruch durchgesetzt werden kann. Ref 6
Als Ärztin weiß ich, dass ich eigentlich immer einen Restzweifel habe, ob denn nun tatsächlich die eine oder andere Maßnahme zu diesem oder jenem Ergebnis geführt hat. Wenn Sie einen Arzt in Ihrem Bekanntenkreis fragen, so wird er Ihnen das bestätigen. Ausgeschlossen werden kann es nicht, dass die Rückenschmerzen nicht wegen der orthopädischen Behandlung verschwunden sind, sondern weil der Patient seine Arbeit gewechselt hat. Der Patient ist eben ein Individuum und reagiert individuell. Damit ein Gericht einen derartigen Zusammenhang als bewiesen annehmen darf, müssen die Zweifel nicht gänzlich ausgeräumt sein, aber sie müssen schweigen. Schweigen heißt,
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