Behandlungsfehler
Und die Hürden dafür liegen hoch.
Dass der Arzt, der in einem sehr wichtigen Stadium der Behandlung eine notwendige Untersuchung nicht durchführt, rechtlich besser gestellt wird als der, der die Untersuchung zwar durchführt, ihr Ergebnis aber falsch bewertet, hat der Bundesgerichtshof als ungerecht empfunden. Er hat daher in einer Reihe von Urteilen seine Rechtsprechung zur Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden bei einem Befunderhebungsfehler entwickelt. Entsprechend kommt es auch dann zu einer Beweislastumkehr, wenn der Arzt eine notwendige Untersuchung nicht durchgeführt hat, aber diese
Untersuchung wahrscheinlich zu einem Ergebnis geführt hätte, das eine Reaktion des Arztes erfordert hätte – und die ausbleibende Reaktion des Arztes auf dieses fiktive, aber wahrscheinliche Ergebnis der Untersuchung, die nicht durchgeführt wurde, sich als grober Behandlungsfehler darstellt.
Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt es auch zu der vom Bundesgerichtshof gewünschten Gleichbehandlung. Für den Patienten stellt diese Beweislastumkehr eine deutliche Erleichterung bei der Geltendmachung seiner Ansprüche dar.
Befunderhebungsfehler finden sich in der Anfangsphase der Behandlung, wenn der Arzt eine Diagnose stellt, aber auch im weiteren Verlauf, zum Beispiel nach einer Operation, wenn der Patient überwacht werden muss.
Wenn nach einem Trauma, etwa einem Unfall, Schmerzen bestehen, muss geröntgt werden. Tut der Arzt das nicht, ist das ein einfacher Behandlungsfehler. Wenn aber davon auszugehen ist, dass auf dem Röntgenbild ein Knochenbruch zu sehen gewesen wäre, so wäre es unverständlich gewesen, den Patienten weiter den Knochen belasten zu lassen. Die Beweislast kehrt sich um: Der Patient muss nicht nachweisen, wie sein Verlauf gewesen wäre, wenn der Knochenbruch gleich am Anfang erkannt worden wäre. Wenn eine Entzündung vorliegt, so muss ein Wundabstrich genommen werden. Das wurde unterlassen. Wenn dann weiter davon auszugehen ist, dass der Abstrich zu einer Wundrevision (chirurgisch-optische Kontrolle der Wunde) geführt hätte, deren Nichtvornahme sich als grober Behandlungsfehler darstellt, so würde sich die Beweislast ebenfalls umkehren.
Die Unwägbarkeiten, mit denen man im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens konfrontiert wird, lassen sich nicht ausschalten. Eine zentrale Frage ist immer: Wie wird der Sachverständige die Angelegenheit bewerten?
Mein Vorteil ist sicherlich, dass ich die Frage, ob das Gericht einen groben Behandlungsfehler annehmen wird, als Ärztin beurteilen kann. Ich habe immer wieder Fälle erlebt, bei denen ich keine Gutachten vorliegen hatte, die diese Annahme stützten und die ich am Ende trotzdem gewann, weil ich selbst das Verhalten
als grob beurteilen konnte. Mein eigenes ärztliches Wissen ermöglicht es mir, viele Dinge einschätzen zu können. Wenn ich denke, dass gegen das Mediziner-Einmaleins verstoßen wurde, gehe ich in das gerichtliche Verfahren, auch wenn ich weiß, dass es ohne den »groben« Behandlungsfehler nicht gewonnen werden kann. Und gewinne oft.
Eines ist klar: Es ist riskant in ein gerichtliches Verfahren zu gehen, das man nur gewinnen kann, wenn man auf die Karte eines groben Behandlungsfehlers setzt, der die Ausnahme darstellt.
Schadenersatz
Wenn ein Mandant zu mir kommt, möchte er in der Regel Geld als Genugtuung und Ausgleich für den Schaden. Aber: Wie viel Geld? Wie lässt sich der Schaden beziffern?
Dazu ein Beispiel aus meinem Berufsalltag: Ein junges Mädchen wurde am Blinddarm operiert. Am nächsten Tag klagte sie über Schmerzen. Sie hatte eine Abwehrspannung und leicht erhöhte Temperatur. Der Arzt befürchtete eine Bauchfellentzündung. Trotzdem wartete er erst einmal ab. Statt bereits am Dienstag, operierte er sie am Mittwoch. Das ist ein klarer Behandlungsfehler durch Unterlassen. Der Schaden liegt erst einmal darin, dass das Mädchen einen Tag lang Schmerzen hatte. Im weiteren Verlauf bildete sich bei dem jungen Mädchen ein Abszess aus, die Eileiter wurden tangiert und das Mädchen musste zwei weitere Male operiert werden. Darüber verwuchs, bedingt durch die Entzündung, der Darm mit anderen Organen und der Bauchdecke. Das Mädchen hatte weiterhin Schmerzen und musste nochmals operiert werden.
Hier stellt sich für mich die Frage, ob diese Komplikationen den Schaden des Mädchens darstellen und ob dieser kausal auf das Unterlassen zurückzuführen ist. Bildete
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