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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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Jahr, das die Mandantin mit Schmerzen verbringen müsste. Der Gegner bekommt anschließend noch Zeit, das Gutachten zu studieren und es eventuell infrage zu stellen. Auch das dauert. Und derweil leiden die Mandanten.
    Ich schreibe in solchen Fällen das Gericht an, um zu erfragen, ob die Beweise inzwischen so gut gesichert sind, dass mein Mandant sich behandeln lassen kann. Die Richter schreiben mir dann zurück, sie könnten dazu nichts sagen, schließlich wüssten sie nicht, was die Gegenseite zukünftig für Einwendungen gegen das Gutachten erheben würde und ob anschließend der Sachverständige den Ist-Zustand der Zähne noch brauche.

    Zu meiner damaligen Mandantin konnte ich nur sagen: »Wenn Sie auf der ganz sicheren Seite sein wollen, warten Sie ab, wie das Gericht in erster Instanz entscheidet. Sollte das zu unseren Ungunsten ausgehen und wir Berufung einlegen, müssten Sie vermutlich auch das noch abwarten. Schließlich sind Sie in der Beweislast.« Natürlich kann man niemandem zumuten, monate- oder sogar jahrelang mit Zahnschmerzen
herumzulaufen. Aber die juristischen Spielregeln können wir Anwälte eben leider auch nicht ändern. Wir können nur versuchen, so oft wie irgend möglich eine schnelle außergerichtliche Einigung zu erreichen.
    Wenn das nicht gelingt, so gibt es die Möglichkeit, ein Verfahren zur Beweissicherung beim Gericht zu beantragen, damit der Beweis – also die Zähne – begutachtet werden und die Patienten sich in der Regel in die Nachbehandlung begeben und damit den Beweis vereiteln können. In diesem Fall liegt ein Gutachten meist schon nach sechs Monaten vor.
    Meine Mandantin hätte mit der nicht passenden Prothese jedoch zunächst weiter herumlaufen müssen. Und das eben mindestens für sechs lange Monate. Wer an starken Zahnschmerzen leidet, geht aber doch am liebsten noch am selben Tag zum Zahnarzt – sechs Monate auf ein Gutachten zu warten, das steht mit Zahnschmerzen kaum jemand durch.

    Frau Vielmann – die Frau, die sich das Lachen verkneift – kam im Sommer 2008 zu mir. Sie war eigentlich nicht der Typ, der vor Gericht zieht: Eine freundliche, engagierte Frau, die Betriebswirtschaft studiert und sich aber anschließend ganz ihrer Familie gewidmet hat. Bei einem Klassentreffen traf sie eine Kollegin und erzählte dieser ihre Zahn-Geschichte. »Das kannst Du doch nicht einfach so auf sich beruhen lassen«, sagte die Freundin zu ihr. Immerhin ging es nicht nur um das gute Aussehen, sondern auch um eine erhebliche Summe Geld. Und so kam sie zu mir.
    Sie erzählte, sie habe ihrem Zahnarzt immer vertraut. Sie hatte sich über viele Jahre hinweg bei ein und demselben Zahnarzt behandeln lassen. Mitte der 90er-Jahre war sie zum ersten Mal in seiner Praxis und hatte seither regelmäßig dort Termine vereinbart, auch für ihre Kinder. Man kannte sich. Es war ein bisschen so wie früher mit dem Hausarzt: Der Zahnarzt war ein fester Bestandteil in ihrem Leben. Was er sagte, galt. Es gab auch keinen Grund, das infrage zu stellen. Denn größere Probleme tauchten keine auf. Nur dass ihr Zahnfleisch
anfangs ein wenig, im Laufe der Jahre auch ab und zu stärker blutete. Der Zahnarzt erklärte, sie habe eine leichte Parodontitis, ohne näher zu erläutern, was das bedeutet. Er frischte das Zahnfleisch ein wenig an – das heißt, er entfernte einen Teil, damit es neu nachwachsen konnte – und schickte sie wieder nach Hause.
    Der Schock kam nach zwölf Jahren. Es war Sommer, die Ferien nahten, und Frau Vielmann litt unter Zahnschmerzen. Ihr Zahnarzt war schon im Urlaub. Daher ging sie zu einem anderen. Und der war entsetzt. »Das geht gar nicht!«, sagte er und beschrieb ihr, was er sah: Die Parodontitis hatte den Kieferknochen schon so weit zersetzt, dass die Zähne wackelten. Er überwies sie sofort in die Uniklinik, um dort eine dreidimensionale Aufnahme des Kiefers machen zu lassen. Er zeigte ihr das Bild: Die Zähne steckten nur noch mit den Spitzen im Kiefer, der Rest des Knochens war abgebaut. Einer der oberen Backenzähne fiel gleich aus, als er ihn anfasste. Weitere neun – sieben im Oberkiefer, zwei im Unterkiefer – mussten gezogen werden. Und für Frau Vielmann stellte sich die Frage: Warum hat mein vertrauter Zahnarzt das nicht gesehen? Wie kann es angehen, dass ein so großer Schaden entsteht, obwohl ich regelmäßig zur Kontrolle dort war?
    Der neue Zahnarzt tat, was der alte längst hätte getan haben müssen: Er erklärte ihr sorgfältig, was Parodontitis ist, wie

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