Behandlungsfehler
dass dies nicht gelingt – und dass eventuell später die Krone, für die der Patient etliche hundert Euro bezahlt hat, wieder aufgebohrt werden muss, weil der Zahn Terror macht. Die Mandanten sagen häufig zu mir: »Hätte ich gewusst, dass die Behandlung vielleicht nicht erfolgreich ist, hätte ich mir den Zahn lieber gleich ziehen gelassen und das Geld gespart.« Dann suchen sie sich einen Anwalt und setzen ein Verfahren in Gang. Und mit etwas Glück kommt ein Gutachter, nachdem er sich den Wurzelkanal sehr genau angesehen hat, zu dem Schluss, dass der Kollege nicht ganz sauber gearbeitet oder gar einen Behandlungsfehler gemacht hat.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Zahnarztfall: Eine Frau, die immer darunter gelitten hatte, dass ihre Zähne nicht richtig gut aussahen, war zu Geld gekommen und beschloss, dieses in ihr Aussehen zu investieren. Ein Kieferorthopäde sollte die Zähne richten. Er fertigte eine Brücke im hinteren Mundbereich an. Der Zahnarzt wollte alle alten Füllungen erneuern und richtig schöne Inlays aus Keramik anfertigen. Es war eine Komplettsanierung, die sich über Wochen hinzog.
Die Frau klagte schon nach den ersten Behandlungen über Schmerzen. »Warten Sie mal ab«, sagte der Zahnarzt, »das passt jetzt noch nicht zusammen, aber wenn wir die andere Seite gemacht haben, wird alles gut.« Aber nichts wurde gut. Die Schmerzen wurden immer heftiger. Bald konnte die Frau nichts mehr essen. Sie ging weiterhin zu demselben Zahnarzt und ließ sich von ihm behandeln. Sie hoffte darauf, dass alles
gut werden würde. Und sie wurde enttäuscht. Bald drehte sich bei ihr alles nur noch um die Zähne. Es war nicht mehr möglich, sich mit ihr über etwas anderes zu unterhalten. Ihre Welt zerbrach, sie rutschte in eine tiefe Depression und musste sich sogar stationär behandeln lassen.
Dieser Fall hat mich lange Zeit beschäftigt. Es war sehr eindeutig, dass irgendwo etwas schiefgelaufen war. Aber wo, war nicht mehr zu ergründen. Wir versuchten, die gesamte Planung zu hinterfragen. Aber wir konnten nicht objektivieren, nicht sagen: Hier war der Fehler, daraus entstand der Schaden. Zähne sind schwierig. Sie liegen meines Erachtens zu dicht bei den Hirnnerven und auch Kleinigkeiten können große Schmerzen verursachen.
Bei den Zähnen gibt es aber noch einen zweiten Umstand, der es uns Arzthaftungsrechtlern schwer macht: Wenn der Zahnarzt einen Fehler gemacht hat, lässt sich das oft nur anhand der Zähne beweisen. Und die sitzen im Kiefer des Betroffenen. Behandelt man sie, um die Schmerzen abzustellen, ist damit meistens auch der Beweis dafür vernichtet, dass unsauber gearbeitet worden ist.
Zu mir kam zum Beispiel eine Frau, die sich eine Prothese hatte machen lassen, die nicht richtig saß. Sie hatte Schmerzen, das Zahnfleisch entzündete sich. Sie konnte kaum noch essen und lebte von Haferflocken und Suppe. Sie ging zu ihrem Zahnarzt. Doch der wollte von der Vorahnung, dass hier etwas falsch lief, nichts wissen. Er feilte hier, unterpolsterte da und verschrieb Salben gegen die Entzündung. Nichts half. In sechs Monaten saß die Frau an die 50-mal bei ihrem Zahnarzt auf dem Stuhl. Die Schmerzen blieben.
Nach einem halben Jahr – sie hatte inzwischen 20 Kilo abgenommen – reichte es dieser Mandantin. Sie holte sich Hilfe bei ihrer Krankenkasse. Ein Gutachter stellte fest, dass die Prothese nicht zu ihrem Kiefer passte: Sie ließ keinen Platz für die Zunge. Der Gutachter befand, statt zu feilen, hätte der Zahnarzt gleich eine neue Prothese anfertigen müssen.
Warum er das nicht getan hatte? Vielleicht, weil er die aus eigener Tasche hätte bezahlen müssen. Vielleicht aber auch, weil er an seine Arbeit glaubte. Als er das Gutachten sah, lenkte er zum Glück ziemlich schnell ein und wir konnten uns außergerichtlich einigen. Hätten wir uns nicht außergerichtlich einigen können, so hätten wir ein echtes Problem gehabt. Denn die Frau trug das Beweisstück, nämlich die Zähne, in ihrem Mund. Und diese Zähne schmerzten und waren behandlungsbedürftig. Wenn die Aussagen eines Privatgutachters vom Gegner abgelehnt werden, so brauchen wir ein gerichtliches Sachverständigen-Gutachten, das dann nicht mehr einfach abgelehnt werden kann. Das bekommen wir in dem gerichtlichen Verfahren. Doch bevor die Argumente ausgetauscht worden sind, ein Beweisbeschluss erlassen und ein Sachverständiger mit der Begutachtung beauftragt wird, dauert es. Häufig zieht mehr als ein Jahr ins Land, ein
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