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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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inkontinent und das ist im Alltag schwer zu ertragen.
    Bei Herrn Schröder war der Mastdarm nun zu eng. Sein Arzt versuchte, den Kanal mit einem Ballonkatheter zu weiten. 40-mal setzte er dafür an. Jedes Mal war das schmerzhaft und nie brachte es den gewünschten Erfolg. Anschließend versuchte er es mit Kortison, aber fit wie ein Turnschuh wurde Herr Schröder davon auch nicht, sondern aufgedunsen im Gesicht und am Bauch.
    Nur wenn er es schaffte, durch eine strenge Diät auf die Konsistenz seines Stuhlgangs Einfluss zu nehmen, konnte er einigermaßen normal leben.
    Vorbei waren die Zeiten extremer Reisen, aus war der Traum von der Bootstour, kein Klettern mehr, kein Wandern, keine Begegnungen mit fremden Kulturen, deren Speisen sein System durcheinanderbringen würden. Wenn keine Toilette in der Nähe war, geriet Herr Schröder in Panik. Denn es kam, wie es kam. Und er konnte nicht sagen: Jetzt nicht. Er hatte einen sogenannten imperativen Stuhldrang, das heißt,
dass dieser von ihm nicht zu beherrschen ist. Wenn Stuhl kam, fehlte das Reservoir, der Aufenthaltsraum, und damit die Möglichkeit, in Ruhe eine geeignete Toilette aufzusuchen. Besonders schlimm war die Situation bei durchfälligem Stuhl. Und wenn der Stuhl zu fest war, passt er nicht durch die Enge und das sorgte für Krämpfe.

    Herr Schröder kam im Januar 2006 zu mir. Da war er 65. Er erzählte seine Geschichte und es war klar, dass es schwierig werden würde. Da er privatversichert war, konnten wir den Fall nicht vom Medizinischen Dienst prüfen lassen. Wir brauchten aber ein Gutachten. Ich ließ mir die Behandlungsunterlagen kommen und machte eine Liste mit Fragen, die zu klären waren. Wir beantragten ein Schlichtungsverfahren. Der operierende Arzt hatte es versäumt, mit einem Gerät die Höhe des Tumors exakt zu lokalisieren. Diese Lokalisation ist wichtig, weil die Operation umso risikoreicher wird, je näher der Tumor an den Ausgang des Darms heranreicht. Darüber hinaus hatte der Arzt eine klassische Krebsoperation vorgenommen, obwohl doch ein gutartiger Tumor vorlag. Insoweit musste die gesamte Operation hinterfragt werden. Entsprach das dem ärztlichen Standard?
    Auf das Gutachten von Herrn Schröder haben wir lange gewartet. Und als es endlich kam, erschien es mir wenig plausibel. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass alles schön und gut war. Die Schlichtungskommission schloss sich diesem Urteil an. Zwar hätte der Arzt genauer diagnostizieren können, aber am Schaden geändert hätte das nichts: Der sei schicksalhaft, ein Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden lasse sich nicht belegen. Auf dieser Grundlage konnten wir uns nicht außergerichtlich einigen.
    Da mich die Aussagen im Schlichtungsverfahren nicht von meiner Einschätzung abbrachten, ließen wir ein Privatgutachten erstellen. Der Gutachter, ein ausgewiesener Spezialist im Bereich der Darmchirurgie, bestätigte meinen Verdacht. Bei einem zu erwartenden gutartigen Tumor in 13 Zentimetern
Höhe ab dem Anus hätte es durchaus andere Behandlungsmethoden gegeben: Mit der Transanalen Endoskopischen Mikrochirurgie, der TEM, hätte man mit einem Rohr in den Analkanal hineingehen und durch dieses Rohr mit feinen Instrumenten operieren können. Man hätte den Tumor quasi von hinten entfernt, statt durch die Bauchdecke zu operieren. Dafür hätte man aber wissen müssen, dass der Tumor so weit hinten saß, dass die TEM zum Einsatz kommen konnte. Und die Höhe des Tumors war fehlerhaft nicht lokalisiert worden. Diese Behandlungsmethode existiert seit 1983, ist aber von den technischen Voraussetzungen her recht teuer und nicht in jeder Klinik verfügbar. Es hat sie nicht jeder, es kann sie nicht jeder. Aber das ist kein Grund. Wenn es Alternativen gibt, die eine andere Erfolgsaussicht und ein anderes Risikoprofil vorweisen, muss der Arzt den Patienten darüber aufklären. Dem Patienten steht frei, wenn er das möchte, sich eine Klinik zu suchen, in der diese Operation durchgeführt werden kann. Er kann es natürlich auch lassen. Aber das ist seine Entscheidung.
    Herr Schröder hätte sich niemals einer Bauchoperation unterzogen, wenn er gewusst hätte, dass es andere, weniger invasive Methoden gibt. Dann hätte die Operation in dieser Form niemals stattgefunden. Er hätte sich den gutartigen Tumor mit einer modernen Methode lokal von hinten entfernen lassen. Der Defekt wäre vernäht worden – wie ein Loch, welches man stopft –, sodass der Mastdarm als Reservoir voll erhalten

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