Behandlungsfehler
worüber er reden muss und was passieren kann, wenn er es nicht tut. Der Arzt schuldet dem Patienten vor jeder Behandlung eine ordnungsgemäße Aufklärung. Das ist eine wesentliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag.
Die Rechtsprechung sagt, dass die Aufklärung einzelfallbezogen sein muss. In dem Aufklärungsgespräch muss der Arzt die Bedürfnisse und die Auffassungsgabe des Patienten berücksichtigen. Die Aufklärung muss mündlich vorgenommen werden, weil sie sonst nicht einzelfallbezogen sein kann. Sie hat rechtzeitig zu erfolgen und darf keine Risiken verheimlichen. Der Arzt muss dem Patienten erklären, welche Folgen die infrage kommenden Komplikationen für sein weiteres Leben haben könnten. Auch über alternative Behandlungsverfahren muss aufgeklärt werden.
Hier sieht man bereits, dass die Anforderungen an eine rechtmäßige Aufklärung »wachsweich« sind. Was ist rechtzeitig? Welche Auffassungsgabe des Patienten ist zugrunde zu legen?
Die Grundprinzipien der ärztlichen Aufklärung
Um ordnungsgemäß aufklären zu können, ist entscheidend, dass man die Grundprinzipien der ärztlichen Aufklärung versteht.
Die Aufklärung steht unter dem Grundsatz »Voluntas aegroti suprema lex«, der Wille des Patienten ist oberstes Gebot. Geschützt ist sie durch die ersten beiden Artikel des Grundgesetzes: Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten beruht auf dem Recht auf Menschenwürde (Artikel 1) und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2). Damit hat der Wille des Patienten Vorrang vor der ärztlichen Entscheidung – und das selbst dann, wenn die ärztliche Behandlung noch so sinnvoll und die
Entscheidung des Patienten unvernünftig ist. Als Beispiel sind die Zeugen Jehovas zu nennen, die lieber den Tod in Kauf nehmen, anstatt eine Bluttransfusion zu erhalten. Auch diese Entscheidung ist durch das Grundgesetz geschützt. Der Arzt darf keine Bluttransfusion geben. Er muss die Entscheidung des Patienten mit allen Konsequenzen akzeptieren, auch wenn der Patient stirbt.
Die Forderung nach Aufklärung geht zurück auf ein Urteil des Reichsgerichtes aus dem Jahr 1894: Der ärztliche Eingriff erfüllt grundsätzlich den Straftatbestand der Körperverletzung, hieß es da, es sei denn, dass der Patient in den Eingriff eingewilligt hat. Die Aussage dieses Urteils gilt bis heute, auch wenn der Eingriff nach den Regeln der Kunst durchgeführt wurde. Eigenverantwortlich einwilligen kann nur der Patient, der weiß, worüber er entscheidet. Die Einwilligung des Patienten ist daher nur dann wirksam, wenn der Patient aufgeklärt wurde. Es gibt keine festen Regeln für die Aufklärung. Aber der Autonomie und der freien Entscheidung des Patienten ist immer Rechnung zu tragen. Der Patient muss über seine leiblich-seelische Integrität selbst bestimmen können. Er ist Subjekt und nicht Objekt der ärztlichen Behandlung.
Das bedeutet im Umkehrschluss: War die Aufklärung ungenügend, so konnte der Patient nicht wirksam einwilligen. Der ärztliche Eingriff ist dann rechtswidrig und der Arzt muss für alle Folgen der Behandlung einstehen.
Aber was wäre passiert, wenn der Arzt den Patienten aufgeklärt hätte? In vielen Fällen wäre der Patient dem Vorschlag des Arztes gefolgt und hätte in die Behandlung eingewilligt. Wie sich ein bestimmter Patient in einer bestimmten Situation entschieden hätte, wird das Gericht nicht aufklären können. Die Gerichte behelfen sich hier mit folgender Konstruktion: Wenn keine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat, muss der Patient beweisen, dass er zumindest bei der Entscheidung in einen Konflikt gekommen wäre. Er hätte vielleicht nicht sofort eingewilligt, sondern vorher noch die Meinung seines Hausarztes eingeholt. Im Kern geht es darum, dass der Patient das Gericht davon überzeugen muss, dass er – hätte man ihn aufgeklärt, nicht einfach dem Eingriff zugestimmt hätte, sondern aus welchen Gründen auch immer, die
Entscheidung noch einmal ernsthaft auf den Prüfstand gestellt hätte. Damit die Gerichte hierüber urteilen können, hören sie den Patienten zu diesen Fragen in der Regel ausführlich an.
An diesem Punkt scheiterte auch eine Klage. Ich musste sie zurücknehmen, weil keine Aussicht auf Erfolg mehr bestand. Am Ende eines Rechtsstreits stand die ausschlaggebende Frage des Gerichts: »Frau Ullrich, hätten Sie den Eingriff denn durchführen lassen, wenn Sie von den ganzen Gefahren, die der Eingriff mit sich gebracht hat und die Sie zum Teil auch
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