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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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Ausbildung. Manches, was einem reinen Juristen vermutlich gar
nicht auffällt, kann ich als Ärztin bewerten und weiß, was sein kann oder was eben auch nicht.
    Manchmal hilft aber auch der Zufall. So habe ich einen Arzt vertreten – der Patient behauptete durch meinen Mandanten so schwer geschädigt zu sein, dass er sich nur mit Gehstützen, also an Krücken, bewegen könne und nur durch bloßen Willen nicht im Rollstuhl säße. Es war ein Horrorverfahren, und auch wenn ich ahnte, dass der Mann nicht die Wahrheit sagte, konnte ich es nicht beweisen. Zumindest nicht bis zu dem Tag, an dem ich erfuhr, dass er gesehen worden war, als er mit seinem Sohn Fußball gespielt hatte. Er hatte alles nur vorgetäuscht. Das Schmerzensgeld in der Höhe war bei Weitem überzogen, wenn er überhaupt einen Schaden davongetragen hatte. Leider helfen einem nicht immer Zufälle. Und es sind auch nicht nur die Patienten, die tricksen.

    Gelegentlich habe ich es mit nahezu perfekten Behandlungsunterlagen zu tun. Zu perfekten. Misstrauisch werde ich immer dann, wenn der Arzt gleich einen Anwalt einschaltet, wenn ich die Behandlungsunterlagen anfordere. Ich kann mir gut vorstellen, was dann passiert.
    Der Anwalt berät natürlich und weiß genau, wonach ich suchen könnte. Und das kann er dem Arzt dann auch genauso sagen. »Es wäre schön, wenn in der Akte dieses oder jenes stünde. Schauen Sie doch mal, ob Sie das nicht dokumentiert haben.« Und der Arzt schreibt vielleicht genau das dazu. Beweisen kann man das nicht. In einem Fall einer misslungenen Abtreibung wurde dokumentiert, dass die Patientin auf die Untersuchung des ausgeschabten Gewebes verzichtet habe. Geglaubt habe ich das nicht.
    Im Klinikbereich ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand die Akten manipuliert. Dafür haben viel zu viele Menschen Zugriff auf die Krankenakten. Schwestern, Ärzte der verschiedenen, an der Behandlung beteiligten Abteilungen, Physiotherapeuten – sie alle müssten abändern, damit es am Ende noch passt. Aber im ambulanten Bereich? Da schreibt
nur ein Arzt und hat alles in der Hand, und damit eben auch die Möglichkeit, seine Dokumentation zu korrigieren. Es ist mir schon passiert, dass in einer Akte stand, dass der Arzt genau über die Komplikationen ausführlich aufgeklärt hat, die später bei dem Patienten tatsächlich auftraten. Die anderen zehn möglichen Komplikationen waren nicht erwähnt. Ein komischer Zufall, dem hellseherische Fähigkeiten vorausgegangen sein müssen.

    Mein ehemaliger ausbildender Richter, den ich bis heute sehr schätze, sagte einmal zu mir: Akten sind immer nur die eine Sache. Die Gerichtsverhandlung die andere. Für ihn ist die Gerichtsverhandlung unglaublich wichtig, weil die Akten erst durch die Gerichtsverhandlung Leben bekommen. Es werden Fragen gestellt und man entwickelt ein Gefühl dafür, ob jemand mehr hineininterpretiert, als tatsächlich vorhanden ist. Für ihn liegt die Wahrheit immer in der Mitte – irgendwo zwischen den Aussagen des Klägers und der des Beklagten. Auch wenn am Ende nur wahr ist, was wir beweisen können.

Schwere Entscheidung
Nicht immer ist ein Verfahren für den Patienten der beste Weg
    C hristoph Mahlers Blick schien an der Tischkante zu kleben. Ein tiefer Schatten hing über ihm. Es war, als wenn ein Elend sich über ihn ausgebreitet hätte und er darauf hoffte, dass jemand ihn erlöste. Er erzählte gleich, er habe schon viele Gespräche mit seinem Therapeuten geführt. Er sehe jetzt klar: Das Problem läge nicht bei ihm, sondern bei dem Arzt, der ihm dieses Kind beschert hatte. Diesen Mann wollte er auf Unterhalt verklagen.
    Er war schon über 40 gewesen, als seine Freundin noch einmal schwanger wurde. Ein Junge? »Nein, ein Mädchen. Flora.« Er schluckte. »Genau das hatten wir verhindern wollen«, sagte er leise. Er richtete sich auf, seine Schultern wirkten männlich und stark, er holte tief Luft und sagte: »Eben weil wir kein Kind mehr wollten, habe ich mich sterilisieren lassen. Und dann war plötzlich doch ein Kind unterwegs. Nein, nein, es ist nicht wie Sie denken, meine Freundin war nicht mit einem anderen im Bett.« Es stellte sich heraus, dass der Arzt schlicht vergessen hatte, Christoph Mahler darüber aufzuklären, dass ein Mann nach der Sterilisation noch vier bis sechs Wochen zeugungsfähig ist. Der Strang ist zwar abgebunden und es kommt kein neues Sperma nach. In den Samenleitern schwimmen aber noch die kleinen Guppys aus früherer Produktion, und wenn sie

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