Behandlungsfehler
Berufsanfängerin, den gestandenen Richtern der Kammer erklären, warum sie in diesem Fall wie entscheiden sollten. Ich machte mich also sofort an die Arbeit. Den Richter wollte ich auf keinen Fall enttäuschen.
Zunächst verschaffte ich mir einen Überblick über den Ablauf. Der Fall sah auf den ersten Blick recht einfach aus. Angelika Busch war eine ziemlich runde Frau. Sie hatte lange versucht, mit Diäten ihr Übergewicht in den Griff bekommen, aber das hatte nie so richtig geholfen. Eine Magenoperation schien ihr deshalb die beste Lösung. Und weil sie die selbst bezahlen musste, wollte sie natürlich auch den besten Arzt dafür. Der Arzt, den sie sich ausgesucht hatte, war ein Spezialist auf dem Gebiet der bariatrischen Chirurgie – umgangssprachlich auch »Dickenchirurgie« genannt. Sie reiste extra
aus Süddeutschland nach Berlin, um sich von ihm behandeln zu lassen. Er riet ihr zu einem Magenband – das ist eine risikoarme Operation, bei der im Gegensatz zu anderen Operationen nicht Teile von Magen oder Darm entfernt werden, sondern die Organe unbeschädigt bleiben.
Es ist eine relativ einfache und wirkungsvolle Methode. Allerdings erfordert ein Magenband viel Disziplin und funktioniert nicht bei jedem. Wer sein Übergewicht hauptsächlich Pralinen, Chips und Softdrinks verdankt, hat mit einem Magenband keine Chance. Für den klassischen Vielesser ist es aber gut. Man kann mit einem Magenband nämlich nicht mehr so viel essen. Durch die Verengung muss man sein Essen sehr klein schneiden und sehr gut kauen, damit es im Magen ankommt. Der Magen hat dann genug Zeit, zu melden, wann man satt ist.
Die Operation verlief völlig glatt. Da Angelika Busch alle Kosten selbst übernehmen musste, verließ sie sehr früh das Krankenhaus und fuhr zurück nach Hause. Per Telefon hielt sie weiterhin Kontakt zu ihrem Berliner Arzt. In den Behandlungsunterlagen fand ich die Dokumentation diverser Telefonate. »Patientin berichtet von einem Infekt«, stand da. Und: »Erneute Vorstellung empfohlen.« Angelika Busch reiste also wieder nach Berlin. In einer ambulanten Sitzung entfernte ihr Arzt den äußeren Füllballon und setzte auf der anderen Seite einen neuen ein. Dazu verschrieb er ihr ein Antibiotikum.
Bis hierhin schien alles relativ normal verlaufen zu sein. Die Infektion gehört zu den möglichen Komplikationen eines Eingriffs. Die Reaktion des Arztes war nicht zu beanstanden. Die Nachsorge übernahm der Hausarzt in Süddeutschland. Soweit so gut. Nur hatte ein anderer Arzt bei einer weiteren Operation das Magenband komplett entfernt. Er habe keine andere Möglichkeit gesehen, hieß es, die Wunde sei so infiziert gewesen, dass er das Magenband wieder entfernen musste. Immense Kosten kamen auf die Patientin zu und sie behielt eine große Narbe am Bauch zurück. Angelika Busch machte den Berliner Chirurgen verantwortlich. Ihr Traum
vom Traumgewicht durch eine Operation war geplatzt. Das wollte sie so nicht hinnehmen. Sie war überzeugt, dass der Berliner Chirurg bereits bei dem Auftreten der Infektion das Magenband hätte entfernen müssen. Damals sei noch alles möglich gewesen. Es wäre klar gewesen, dass der Infekt, so lange das Fremdmaterial sich in ihrem Körper befand, nicht zum Stillstand kommen würde. So aber habe sie über Wochen mit einem schwelenden Infekt leben müssen, und von dem Antibiotikum, das sie dagegen verschrieben bekam, sei ihr schlecht gewesen. Der Infekt habe das Gewebe im Bauchraum verwachsen, durch die Entzündung hätten sich Narbenstränge gebildet. Eine neuerliche Operation, um Gewicht abnehmen zu können, sei ihr aufgrund dieser Situation verbaut. Der mit dem Fall befasste und vom Gericht bestellte Sachverständige bestätigte das Ganze.
Es sah alles recht schlüssig aus. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Fremdmaterialien im Körper einen Infekt aufrecht erhalten. Der Klage musste wohl im vollen Umfang stattgegeben werden. Doch irgendetwas störte mich. Irgendetwas passte nicht zusammen, das spürte ich. Da war ein Fehler, aber ich fand ihn nicht. Stunde um Stunde saß ich an meinem Schreibtisch und brütete über der Akte. Um mich herum stapelten sich die Unterlagen.
Ich wusste, ich würde das hinkriegen. So wie ich bisher alles geschafft hatte. Nur durch extrem gute Organisation war ich bis zum Referendariat gekommen – mit Mann und Kind. Ich fing also an, die Begründung zu schreiben und alle Fakten darzulegen. Freitagabend war ich damit fertig. Das Wochenende konnte
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