Behandlungsfehler
anfangen. Ich hoffte, dass sich mein schlechtes Gefühl spätestens während der Vorstellung des Falles in Wohlgefallen auflösen würde.
Am Abend war ich mit meinem Mann für die Sauna verabredet. Sicher war, dass ich in die Sauna gehen würde. Ob er wirklich auftauchte, war fraglich. Bei einem Arzt geht es immer darum, Menschenleben zu retten. Bei meinem Mann ist das
der generalisierte Entschuldigungsgrund für alles. Nachdem er mich das erste Mal versetzt hat, habe ich mir abgewöhnt auf ihn zu warten. Damals hatte er gesagt, er sei spätestens um fünf zu Hause. Ich hatte den Kochlöffel geschwungen, was ich nicht sehr häufig mache, und ein wunderschönes Sahnehuhn mit Fenchelgemüse und Spätzle zubereitet. Wer nicht kam, war mein Mann. Der tauchte um halb acht auf. Das Essen war verkocht, ich schlecht gelaunt, der Abend gelaufen. Ich bin in puncto Pünktlichkeit beinahe fanatisch und empfinde Unpünktlichkeit als asozial, überspitzt formuliert. Mein Mann dagegen ist Chirurg. Wenn er operiert, interessieren ihn alle anderen Termine nicht. Wenn er operiert, operiert er. Und wenn er nach drei Stunden noch einmal bei Adam und Eva anfangen muss, tut er auch das. Da würde er sich auf keinen Kompromiss einlassen, sondern die Operation erst beenden, wenn alles so ist, wie er sich das vorstellt. »Ach, es wird schon gutgehen« – das gibt es bei ihm nicht. Das ist einer der Gründe, warum er so gut ist. Aber eben auch, weshalb man mit ihm keine Termine machen kann.
Ich fuhr also zur Sauna und versuchte, nicht auf ihn zu warten. Den entspannten Abend hatte ich mir verdient. Er war da. Während wir schwitzten, erzählte ich ihm von meinem ersten Fall und wie ich ihn bewertete. Ich gebe zu, ich wollte schon auch gern sein Lob hören. Und dann sagte er zu mir: »Pass auf Britta, da stimmt was nicht. Es ist alles logisch, was du sagst. Juristisch, dogmatisch, alles richtig. Aber da stimmt was nicht. Medizinisch ist es unwahrscheinlich, dass sich die Infektion von der Bauchdecke bis zum Magenband fortsetzt. Daher war der Austausch des Ballons völlig korrekt und das Entfernen des Magenbands unnötig. Ich glaube nicht, dass ein guter Chirurg, und das ist der nachbehandelnde Kollege, die Entfernung des Bandes für medizinisch notwendig hielt. Da ist ein Bruch drin. Irgendwo muss da was sein, was nicht passt.«
Meine Hochstimmung war dahin, das schlechte Gefühl nahm überhand. Ich setzte mich wieder vor die Akten. Seite
für Seite ging ich alle Unterlagen noch einmal durch. Befunde, Blutwerte, Röntgenbilder – einfach alles. Mein Wissen als Ärztin erwies sich als Vorteil. Und dann entdeckte ich es: ein Schreiben der Patientin an den Arzt. Handgeschrieben. Der Arzt möge doch bitte das vermaledeite Magenband endlich entfernen und eine Magenverkleinerung vornehmen. Und der Arzt hatte dem zugestimmt. Es handelte sich also nicht, wie in den Unterlagen behauptet wurde, um eine notwendige Nachoperation – sondern um eine Absprache zwischen Patientin und Arzt. Angelika Busch war mit dem Magenband nicht klargekommen, wollte es wieder entfernen lassen und in derselben Operationssitzung eine andere Lösung für ihr Gewichtsproblem umsetzen. Sie suchte nach einem Weg, das zu finanzieren. Das Problem war nur gewesen, dass der Arzt sehr schwierige Operationsverhältnisse vorfand und die geplante Operation, die operative Verkleinerung des Magens, nicht durchführen konnte. Außer Spesen nichts gewesen. Die beiden hatten zusammengearbeitet. Und der Berliner Spezialist sollte bezahlen. Zu Unrecht. Ich schrieb mein ganzes Votum um. Kein Schmerzensgeld, kein Schadenersatz. Gar nichts. Frau Busch hatte versucht, das Gericht zu täuschen und den Arzt zu betrügen. Diese Klage musste abgewiesen werden. Ich war stolz auf meine Detektivarbeit.
Den Preis allerdings konnte ich nicht mehr entgegen nehmen. Völlig überraschend hatten sich die beiden Parteien inzwischen auf einen Vergleich geeinigt. Angelika Busch bekam 1000 D-Mark. Warum? Ich habe keine Ahnung. Aber ich habe aus diesem Fall eine Menge gelernt. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Heute gehe ich nicht in ein gerichtliches Verfahren, ohne mir doppelt und dreifach die Behandlungsunterlagen anzuschauen. Das schützt mich vor unliebsamen Überraschungen. Schließlich verliere ich nicht gern. Schon gar nicht, weil meine Mandanten schummeln. Doch die meisten meiner Mandanten sind ehrlich. Bei denen, die betrügen wollen, habe ich einen großen Vorteil: meine doppelte
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