Behemoth - Im Labyrinth der Macht
deshalb waren die Bewegungen des Betts langsam und gleichmäßig, also ideal für eine Invalidin.
Doch die Frau in dem Bett musste verrückt sein, wenn sie so ernsthaft von Elefanten redete, die die Erde trugen. Überhaupt wirkten alle drei äußerst seltsam. Sie erinnerten Alek an arme Verwandte von Adligen, an einst wohlhabende Familien, die nach schweren Zeiten an einem übersteigerten Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit festhielten.
Gestern Abend hatte Zaven erzählt, er habe am Aufstand der Jungen Türken vor sechs Jahren teilgenommen. Doch stellte diese seltsame Familie tatsächlich eine Bedrohung für den Sultan dar oder schwelgten sie einfach nur in ruhmreichen vergangenen Zeiten?
Natürlich war Zavens Läufer nicht zu verachten.
Draußen auf dem Balkon erkannte Alek, dass die Wohnung der Familie auf das Lagerhaus gebaut war. Dessen Dach umgab sie wie eine kleine Parzelle Land. Ein komischer Ort zum Wohnen, allerdings hatte man einen uneingeschränkten Blick über die Stadt. Von hier oben konnte man sowohl das Marmarameer als auch den funkelnden Einlass zum Goldenen Horn sehen.
Da lag sie an einem Kai, genau wie Eddie Malone beschrieben hatte: die Goeben. Ihre riesigen Kraken-Abwehrarme arbeiteten über der Wasseroberfläche und halfen beim Beladen mit Fracht.
Nene zeigte mit gekrümmtem Zeigefinger zum Hafen. »Woher kennen Sie die Tesla-Kanone?«
»Sie hat auf uns geschossen«, erklärte Alek. »Beinahe hätte sie das Schiff in Brand gesetzt.«
»Aber woher kennen Sie den Namen , junger Mann? Den werden Sie sich kaum ausgedacht haben.«
»Ach.« Alek fragte sich, wie viel er ihr erzählen sollte. »Einer meiner Männer ist ein Mechanik-Meister. Er hat Modelle der Kanone im Experimentierstadium gesehen.«
»Ihre Männer kennen sich mit deutschen Geheimwaffen aus und trotzdem haben Sie auf der Leviathan gearbeitet?« Nene schüttelte ungläubig den Kopf. »Sagen Sie mir, wer Sie wirklich sind. Und zwar sofort!«
Alek holte tief Luft und ignorierte Lilits kaltes Lächeln. »Ich bin ein österreichischer Adliger, gnädige Frau. Mein Vater hat sich gegen diesen Krieg eingesetzt und wurde deswegen von den Deutschen ermordet. Meine Männer und ich hatten uns in den Alpen versteckt, als die Leviathan dort notgelandet ist.«
»Und man hat Sie einfach an Bord eingeladen?«
»Wir haben den Darwinisten bei der Flucht geholfen. Unser Sturmläufer war beschädigt und ihre Luftschifftriebwerke waren zerstört. Also haben wir sozusagen beides zusammengeworfen und auf diese Weise konnten wir den Deutschen entkommen. Sobald wir in der Luft waren, wurde allerdings klar, dass die Briten uns als Kriegsgefangene betrachten. Wir mussten von Bord gehen.« Er breitete die Hände aus. »Und jetzt suchen wir Verbündete für unseren Kampf.«
»Verbündete«, wiederholte das Tier leise.
»Ich will mich an den Deutschen rächen«, sagte Alek. »Genau wie Sie.«
Es folgte langes Schweigen, bis Nene den Kopf schüttelte. »Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll, junger Mann. Mechanisten-Maschinen auf einem Wasserstoffatmer? Lächerlich. Und dennoch … Kein Spion des Sultans würde es wagen, mir eine so unglaubliche Geschichte aufzutischen.«
»Warte«, sagte Lilit und nahm die Hand ihrer Großmutter.
»Erinnerst du dich, wie die Leviathan gestern über die Stadt geflogen ist? Wir fanden es so lustig, weil die Motoren rauchten wie bei den Mechanisten-Luftschiffen.« Sie blickte Alek an. »Obwohl ich nicht glaube, dass er die Wahrheit sagt.«
Nene schüttelte wieder den Kopf. »Ohne Zweifel hat der junge Mann sie ebenfalls gesehen und sich daraufhin diese verrückte Geschichte ausgedacht.«
»Gnädige Frau, ich bin nicht gerade erfreut darüber, als Lügner bezeichnet zu werden«, sagte Alek entschlossen. »Im Gegenteil, ich bin durch diese Ereignisse ein mächtigerer Verbündeter, da ich sowohl die Geheimnisse der Darwinisten als auch die der Mechanisten kenne! Ich verfüge über eine militärische Ausbildung und über eine nicht zu verachtende Menge Gold. Meine Männer und ich können Läufer steuern und selbst reparieren. Sie können unsere Hilfe gar nicht ausschlagen, es sei denn, die Revolution ist für Sie nur ein Spiel !«
Lilit sprang auf und fletschte die Zähne. Zaven stand schweigend da, legte aber die Hand auf sein Messer.
Nene sprach sehr ruhig. »Junger Mann, Sie haben keine Ahnung, was dieser Kampf meine Familie bisher gekostet hat – unser Vermögen und unseren Rang in der Gesellschaft.«
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