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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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einfach aus wie in einem Park. Das sage
ich zu ihm, und jetzt ist er böse auf mich. In dem Fall, sagt er, geht er allein spazieren. Er sagt, wir sind fertig miteinander, nie sind wir in irgendwas einer Meinung. Ja, sagt er, Sonja, wir beide, wir sind fertig miteinander. Und weg ist er! So, jetzt wissen Sie Bescheid. Deswegen ist er dort oben, und ich bin hier unten.« Wieder beschirmte sie ihre Augen und beobachtete den sich entfernenden Tilo.
    »Tut mir wirklich leid«, sagte ich. »Hätte ich Sie nur gar nicht erst in dieses Hotel geschickt …«
    »Ich bitte Sie! Das Hotel ist doch nicht wichtig.« Sie beugte sich vor, um einen besseren Blick auf Tilo zu haben. Dann wandte sie sich zu mir und lächelte, obwohl ich Tränen in ihren Augen zu erkennen meinte. »Erzählen Sie«, sagte sie. »Werden Sie heute ein neues Lied schreiben?«
    »So ist es geplant. Zumindest will ich das Lied abschließen, an dem ich gearbeitet habe. Das Sie gestern gehört haben.«
    »Das war wunderschön. Und was haben Sie vor, wenn Sie damit fertig sind, hier ihre Lieder zu schreiben? Haben Sie einen Plan?«
    »Ich gehe nach London zurück und gründe eine Band. Diese Lieder brauchen genau die richtige Band, sonst funktionieren sie nicht.«
    »Wie spannend! Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
    Nach einem Moment sagte ich leise: »Aber vielleicht lass ich’s auch bleiben. Es ist nicht so einfach, wissen Sie.«
    Sie gab keine Antwort, und ich dachte, sie hatte vielleicht nicht gehört, denn sie wandte sich wieder ab und blickte zu Tilo.
    »Wissen Sie«, sagte sie schließlich, »als ich jünger war, konnte mich nichts aus der Ruhe bringen. Heute rege ich mich ständig über alles Mögliche auf. Ich weiß nicht, warum ich so
geworden bin. Es ist nicht gut. Na ja, ich glaube nicht, dass Tilo hierher zurückkommt. Ich gehe ins Hotel und warte dort auf ihn.« Den Blick immer noch auf die ferne Gestalt geheftet, stand sie auf.
    »Es ist wirklich zu schade«, sagte ich und stand ebenfalls auf, »dass Sie sich in Ihrem Urlaub streiten. Dabei wirkten Sie gestern, als ich Ihnen vorgespielt habe, noch so glücklich miteinander.«
    »Ja, das war ein guter Moment. Danke, dass Sie das sagen.« Unversehens streckte sie mir die Hand entgegen und lächelte herzlich. »Es war sehr schön, Sie kennenzulernen.«
    Wir gaben einander schwach die Hand, wie man das mit Frauen so tut. Sie machte sich auf den Weg, aber nach ein paar Schritten blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um.
    »Wenn Tilo hier wäre«, sagte sie, »würde er Ihnen sagen: Lassen Sie sich bloß nie unterkriegen. Er würde sagen: Natürlich müssen Sie nach London und versuchen, eine Band auf die Beine zu stellen. Natürlich werden Sie’s schaffen. Das würde Tilo sagen. So ist er.«
    »Und was würden Sie sagen?«
    »Ich würde gern dasselbe sagen. Denn Sie sind jung und talentiert. Aber ich bin nicht so sicher. Das Leben hat an sich schon genügend Enttäuschungen parat. Wenn Sie obendrein noch solche Träume haben …« Sie lächelte wieder und zuckte die Achseln. »Aber ich sollte so was nicht sagen. Ich bin Ihnen kein gutes Vorbild. Außerdem sehe ich, dass Sie viel eher so wie Tilo sind. Wenn die Enttäuschungen dann kommen, machen Sie trotzdem weiter. Genau wie er werden Sie sagen: Ich hab so ein Glück.« Ein paar Sekunden lang sah sie mich an, als prägte sie sich mein Aussehen ein. Der Wind fuhr
ihr in die Haare und ließ sie älter wirken als sonst. »Viel Glück«, sagte sie schließlich.
    »Ihnen ebenfalls«, antwortete ich. »Ich hoffe, Sie versöhnen sich wieder.«
    Sie winkte ein letztes Mal, dann ging sie den Weg hinab und war bald verschwunden.
    Ich nahm die Gitarre aus dem Kasten und setzte mich wieder auf die Bank. Aber ich fing noch nicht zu spielen an, denn ich blickte in die Ferne, Richtung Worcestershire Beacon, und auf Tilos winzige Gestalt auf dem Hang. Vielleicht hatte es mit dem Einfallswinkel der Sonne auf diesem Teil des Hügels zu tun, jedenfalls sah ich ihn jetzt viel deutlicher als vorher, obwohl er weiter weg war. Er blieb kurz stehen und schien sich umzuschauen, fast als versuchte er die ringsum liegenden Hügel mit anderen Augen zu sehen. Dann setzte sich seine Gestalt wieder in Bewegung.
    Ich arbeitete ein paar Minuten lang an meinem Lied, aber meine Konzentration ließ immer mehr nach, vor allem weil ich ständig daran denken musste, welches Gesicht Hexe Fraser gemacht hatte, als Sonja ihr am Morgen den Kopf gewaschen hatte. Dann blickte ich auf die

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