Bei Anbruch der Nacht
an«, sagte er. »Oder Kris Bugoski. Oder Tarrentini. Hat einer von denen einen so unverwechselbaren Sound wie du? Nein. Haben sie deine Zärtlichkeit? Deine Ideen? Haben sie auch nur halb so viel Technik wie du? Nein. Aber sie sehen okay aus, und deswegen öffnen sich ihnen immer wieder alle möglichen Türen.«
»Was ist mit Billy Fogel?«, sagte ich. »Er ist hässlich wie die Nacht, und trotzdem läuft es bei ihm.«
»Klar ist Billy hässlich. Aber er ist sexy, ein richtig fieser Typ. Du, Steve, du bist … Na ja, du bist – langweilig, versagerhässlich. Das ist die falsche Sorte von hässlich. Sag, hast du je dran gedacht, mal was machen zu lassen? Chirurgisch, meine ich?«
Ich ging nach Hause und erzählte Helen das alles, weil ich dachte, sie findet es so komisch wie ich. Und zuerst lachten wir ja auch, ausgiebig, auf Bradleys Kosten. Dann kam Helen zu mir, schlang die Arme um mich und sagte, für sie wenigstens sei ich der schönste Mann des Universums. Dann wich sie irgendwie zurück und wurde still, und als ich fragte, was los sei, sagte sie: Gar nichts. Dann sagte sie, vielleicht, na ja, vielleicht hat Bradley nicht ganz unrecht. Vielleicht sollte ich wirklich mal drüber nachdenken, ob ich nicht was machen lassen will.
»Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen!«, fuhr sie mich an. »Alle tun das. Und du, du hast einen beruflichen Grund. Wenn einer Luxuschauffeur werden will, geht er hin und kauft sich eine Luxuskarosse. Bei dir ist das genau dasselbe.«
Aber zu dem Zeitpunkt dachte ich nicht weiter darüber nach, allerdings begann ich mich mit dem Etikett »versagerhässlich« abzufinden. Ohnehin hatte ich kein Geld für eine OP. Tatsache ist, dass wir zu dem Zeitpunkt, als Helen von Luxuschauffeuren redete, neuneinhalbtausend Dollar Schulden hatten. Übrigens war das typisch Helen. Ein feiner Mensch in vielerlei Hinsicht, aber dass sie’s fertigbringt, den wahren Zustand unserer Finanzen komplett zu verdrängen und sich auszumalen, wie man ordentlich klotzen könnte: Das ist Helen.
Abgesehen vom finanziellen Aspekt, passte mir die Vorstellung nicht, mich unters Messer zu legen. Ich bin in solchen
Dingen nicht sehr gut. Einmal, am Anfang unserer Beziehung, wollte Helen mit mir laufen gehen. Es war ein frischer Wintermorgen, und ich war zwar nie ein begeisterter Läufer, aber von ihr war ich so hingerissen, dass ich unbedingt einen guten Eindruck machen wollte. Wir rannten also durch den Park, und ich hielt einigermaßen mit ihr Schritt, bis ich plötzlich über etwas Hartes stolperte, das aus dem Boden ragte. Mein Fuß tat weh, eigentlich nicht sehr schlimm, aber als ich Schuh und Socke auszog und sah, dass sich der Nagel der großen Zehe wie zu einem Hitlergruß aufgestellt hatte, wurde mir schlecht, und ich kippte um. So bin ich. Also sehen Sie, ich war nicht gerade erpicht auf eine Schönheitsoperation.
Dann war das natürlich eine Frage des Prinzips. Gut, ich sagte es schon, in künstlerischer Hinsicht bin ich kein Purist. Für Geld spiele ich alles mögliche Zeug. Aber das hier war eine Zumutung anderer Art, und ich hatte durchaus noch einen Rest Stolz. In einem hat Bradley nämlich recht: Ich kann doppelt so viel wie die meisten anderen Leute in dieser Stadt. Leider zählt das heutzutage anscheinend nicht viel. Worum es wirklich geht, das sind Image, Vermarktbarkeit, Präsenz in Zeitschriften und im Fernsehen, Partys und dass man mit den richtigen Leuten essen geht. Mich machte das alles krank. Ich bin Musiker, warum soll ich dieses Spiel mitmachen? Warum kann ich nicht einfach meine Musik machen, so gut es eben geht, und immer besser werden, wenn auch nur in meinem Kabuff, und vielleicht, vielleicht hören mich ja eines Tages echte Musikliebhaber und schätzen das, was ich tue. Wozu soll ich einen Schönheitschirurgen brauchen?
Helen schien es anfangs genauso zu sehen wie ich, und das Thema kam eine ganze Weile nicht mehr aufs Tapet. Bis sie mich aus Seattle anrief und sagte, dass sie mich verlässt und
zu Chris Prendergast zieht. Sie kannte den Typen seit der Highschool, er besitzt jetzt eine erfolgreiche Diner-Kette in Washington. Ich hatte diesen Prendergast im Lauf der Jahre ein paarmal gesehen – er war einmal zum Abendessen bei uns gewesen -, aber ich hatte nie irgendeinen Verdacht gehegt. »Diese Schalldämpfung in deinem Wandschrank«, sagte Bradley damals, »die funktioniert in beide Richtungen.« Da hatte er wohl recht.
Aber ich will jetzt nicht weiter auf Helen und
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