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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Prendergast herumreiten, ich will nur erklären, welchen Anteil die beiden daran haben, dass ich jetzt hier bin. Sie denken vielleicht, ich sei die Küste hinaufgefahren, hätte das glückliche Paar zur Rede gestellt, und plastische Chirurgie sei die unausweichliche Folge einer mannhaften Auseinandersetzung mit meinem Rivalen gewesen. Romantisch, aber so war es leider nicht.
    Sondern es war so, dass Helen ein paar Wochen nach diesem Anruf in die Wohnung zurückkam, um den Abtransport ihrer Sachen zu organisieren. Sie sah traurig aus, wie sie so in der Wohnung herumging – schließlich hatten wir hier auch eine gute Zeit gehabt -, und ich rechnete ständig damit, dass sie zu weinen anfing. Aber das passierte nicht, sie ging nur weiter herum und stapelte ihr Hab und Gut ordentlich aufeinander. In ein, zwei Tagen werde jemand kommen und die Sachen abholen, sagte sie. Und als ich, das Saxofon in der Hand, in meinem Kabuff verschwinden wollte, blickte sie auf und sagte leise:
    »Bitte Steve. Geh nicht schon wieder dahinein. Wir müssen reden.«
    »Worüber denn?«
    »Steve, in Gottes Namen.«
    Also legte ich das Sax in den Kasten zurück, und wir gingen
in unsere kleine Küche und setzten uns einander gegenüber an den Tisch. Dann legte sie los.
    Ihre Entscheidung stehe fest. Sie sei glücklich mit Prendergast, für den sie schon seit der Schule geschwärmt habe. Aber die Trennung von mir falle ihr schwer, vor allem jetzt, wo es beruflich nicht so gut laufe. Deswegen habe sie über alles noch einmal nachgedacht und mit ihrem Neuen gesprochen, und der habe auch ein schlechtes Gewissen wegen mir. Offenbar hatte er gesagt: »Das geht doch nicht, dass Steve den Preis für unser Glück zahlen muss«, und daher folgender Vorschlag: Prendergast sei bereit, mir den besten Chirurgen in der Stadt zu zahlen, damit er mein Gesicht in Ordnung bringt. »Es stimmt«, sagte sie, als ich sie sprachlos anstarrte. »Es ist sein voller Ernst. Er scheut keine Kosten. Sämtliche Krankenhausrechnungen, Reha, alles. Der beste Chirurg der Stadt.« Sobald mein Gesicht in Ordnung sei, gäbe es keinen Hinderungsgrund mehr, sagte sie. Dann käme ich bald ganz nach oben, bei dem Talent, das ich hätte, könne ja nichts schiefgehen.
    »Steve, wieso schaust du mich so an? Das ist ein fantastisches Angebot. Und Gott weiß, ob es in sechs Monaten noch steht. Sag jetzt gleich Ja und tu dir selber einen Riesengefallen. Du hast ein paar Wochen Beschwerden, und dann ab die Post! Jupiter und noch weiter hinauf!«
    Fünfzehn Minuten später, schon an der Tür, fragte sie, in viel strengerem Ton: »Also was sagst du? Dass es dir reicht, für den Rest deines Lebens in diesem Kabuff Saxofon zu spielen? Dass du gern ein solcher Versager bist?« Und damit ging sie.
    Am nächsten Tag suchte ich Bradley in seinem Büro auf, um zu fragen, ob er was für mich habe, und ich erzählte – nur so zum Spaß -, was passiert war; ich dachte, wir würden darüber lachen. Aber er lachte überhaupt nicht.

    »Dieser Typ ist reich? Und er ist bereit, dir einen Spitzenchirurgen zu zahlen? Vielleicht schickt er dich zu Crespo. Oder sogar zu Boris.«
    Jetzt fing also auch Bradley damit an. Ich sollte die Chance nur ja nutzen, denn wenn nicht, bliebe ich für den Rest meines Lebens ein Versager. Ich war ziemlich sauer, als ich sein Büro verließ, aber er rief mich noch am selben Nachmittag an und redete auf mich ein. Wenn es der Anruf sei, der mich zurückschrecken lasse, sagte er, wenn es meinen Stolz verletze, zum Telefon zu greifen und Helen zu sagen, ja, bitte, ich will es machen, bitte lass deinen Liebhaber einen großen Scheck unterschreiben – wenn es das sei, was mich abhalte, dann werde er, Bradley, liebend gern sämtliche Verhandlungen für mich übernehmen. Leck mich kreuzweise, sagte ich und legte auf. Aber eine Stunde später rief er schon wieder an. Er sagte, er habe jetzt alles kapiert, und ich sei ein Trottel, dass ich nicht selber draufgekommen sei.
    »Helen hat das alles sorgfältig geplant. Bedenke ihre Lage. Sie liebt dich. Aber aussehensmäßig – tja, da bist du ihr eher peinlich, wenn ihr in der Öffentlichkeit gesehen werdet. Du bist keine Augenweide. Sie will, dass du was dagegen unternimmst, aber du weigerst dich. Was soll sie tun? Also, ihr nächster Schritt ist wirklich grandios. Sehr subtil. Als professioneller Manager kann ich sie nur bewundern. Sie tut sich mit diesem Typen zusammen. Okay, vielleicht hatte sie schon immer eine Schwäche für ihn,

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