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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Schuhe kaufen.«
    »Sie ist einverstanden. Eigentlich war es überhaupt ihre Idee. Schauen Sie, wer jetzt nicht aufgepasst hat.«
    »Oh, verdammt. Aber ich bin sowieso eine miese Spielerin. Sagen Sie, ich will nicht neugierig sein, aber kommt sie oft zu Besuch?«
    »Genau genommen war sie gar nie hier. Aber so war es von Anfang an ausgemacht.«
    »Ach ja?«
    Sie schien so verblüfft, dass ich sagte: »Ich weiß schon, es klingt komisch, aber wir wollten es so haben.«
    »Na gut.« Nach einer Weile fragte sie: »Heißt das, Sie kriegen hier gar keinen Besuch?«
    »Doch, schon. Zufällig war gerade heute Vormittag jemand da. Ein Musiker, mit dem ich mal zusammengearbeitet habe.«
    »Ach ja? Das ist schön. Wissen Sie, Süßer, ich war mir noch nie sicher, wie diese Springer sich fortbewegen. Wenn Sie
mich einen Fehler machen sehen, sagen Sie’s einfach, ja? Das heißt nicht, dass ich versuche, Sie zu beschummeln.«
    »Klar.« Dann sagte ich: »Der Typ, der mich heute besucht hat, der hatte vielleicht eine Neuigkeit auf Lager. Irgendwie verrückt. Seltsamer Zufall.«
    »Ja?«
    »Da gibt es diesen Saxofonspieler, den wir beide vor paar Jahren kennengelernt haben, in San Diego, Jake Marvell heißt er. Vielleicht haben Sie von ihm gehört. Jetzt ist er Oberliga. Aber damals, als wir ihn kannten, war er nichts. Eigentlich war er ein Hochstapler. Was man einen Bluffer nennt. Kam dauernd mit den Tonarten durcheinander. Und ich hab ihn auch in letzter Zeit gehört, oft sogar, und muss sagen, er hat wirklich nichts dazugelernt. Aber er hatte ein paar Breaks, und plötzlich gilt er als angesagt. Ich schwör Ihnen, er ist keinen Deut besser als früher, wirklich nicht. Aber raten Sie, was ich heute erfahren habe? Dieser selbe Typ, Jake Marvell, er kriegt morgen einen wichtigen Musikpreis, und ausgerechnet hier in unserem Hotel. Jazzmusiker des Jahres. Total verrückt, oder? Es laufen so viele begabte Saxspieler herum, und ausgerechnet Jake kriegt den Preis.«
    Ich riss mich zusammen und schwieg. Dann blickte ich vom Schachbrett auf und lachte ein bisschen. »Da kann man nichts machen«, sagte ich, weniger aufgeregt.
    Lindy saß aufrecht auf dem Sofa und war ganz Ohr. »Was für ein Pech. Und dieser Typ, der ist überhaupt nicht gut, sagen Sie?«
    »Tut mir leid, das ist eigentlich gar nicht meine Art. Nein, ist schon gut, wenn sie Jake einen Preis geben wollen, warum denn nicht?«
    »Aber wenn er gar nicht gut ist …«

    »Er ist so gut wie irgendwer. Ich hab nur so dahingeredet. Tut mir leid, vergessen Sie’s wieder.«
    »Hey, das bringt mich auf was«, sagte Lindy. »Haben Sie dran gedacht, Ihre Musik mitzubringen?«
    Ich deutete auf die CD neben mir auf dem Sofa. »Ich weiß nicht, ob Sie das überhaupt interessiert. Sie müssen es sich nicht anhören …«
    »Oh doch, unbedingt. Lassen Sie sehen.«
    Ich reichte ihr die CD. »Das ist eine Band, mit der ich in Pasadena gespielt habe. Standards, altmodischen Swing, ein bisschen Bossa Nova. Nichts Besonderes, ich hab sie nur mitgebracht, weil Sie gefragt haben.«
    Sie betrachtete die CD-Hülle, hielt sie sich nah vors Gesicht, dann ein Stück weiter weg. »Sind Sie mit auf dem Bild?« Sie sah sich das Foto wieder aus der Nähe an. »Ich bin irgendwie neugierig, wie Sie aussehen. Nein, ich sollte sagen: wie Sie ausgesehen haben .«
    »Ich bin der Zweite von rechts. In dem Hawaiihemd, mit dem Bügelbrett in der Hand.«
    » Der? « Sie starrte auf die CD, dann zu mir her. Dann sagte sie: »Hey, Sie sehen ja nett aus.« Aber sie sagte es leise, in einem wenig überzeugten Ton. Tatsächlich hörte ich einen deutlichen Anflug von Mitgefühl heraus. Sie hatte sich aber sofort wieder in der Hand und sagte: »Okay, hören wir rein!«
    Als sie auf die Bang & Olufsen zuging, sagte ich: »Track neun. ›The Nearness of You.‹ Das ist meine Spezialnummer.«
    »Gut, ›The Nearness of You‹.«
    Ich hatte dieses Stück nach reiflicher Überlegung ausgesucht. Die Musiker der Band waren erste Sahne gewesen. Jeder Einzelne von uns hatte sonst radikalere Vorstellungen, aber wir hatten uns mit der ausdrücklichen Absicht zusammengetan,
hochwertige Mainstream-Sachen zu spielen, die Art, wie man sie in Restaurants gern hört. Unsere Version von »The Nearness of You« – in der mein Tenor die ganze Zeit einen tragenden Part hat – war zwar nicht hundert Meilen von Tony Gardners Territorium entfernt, aber ich war immer stolz darauf, ehrlich. Vielleicht glauben Sie, dass Sie schon alle Versionen

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