Bei Anbruch des Tages
schon verstanden, Signor Conte. Aber es ist nun mal so, dass mir Porträts und Landschaftsbilder, ihre Farben, Lichter und Schatten gefallen, weil sie etwas bei mir auslösen. Auch die Rahmen gefallen mir, wenn sie gut gemacht sind. Und glauben Sie mir: Ich kann den Pinselstrich eines Meisters durchaus von dem eines Farbklecksers unterscheiden. Nur mit moderner Kunst kann ich oft nichts anfangen. Deshalb überlasse ich die lieber den Avantgarde-Experten und konzentriere mich stattdessen auf die Schönheit. Denn für mich muss Kunst vor allem schön sein«, hatte Cantoni erwidert.
Renzo und Celina waren bei diesem Gespräch zugegen gewesen. Sie hatten sich lächelnd angesehen, und Celina hatte geflüstert: »Zwei zu eins für deinen Vater.«
Damals war Renzo ein Teenager und Celina ein achtjähriges, sehr aufgewecktes, lebhaftes Mädchen gewesen.
Während Renzo nun mit seinem Vater sprach, erinnerte er sich an diese lange zurückliegende Episode, an die verschwörerischen Blicke, die er mit Celina ausgetauscht hatte, und an die Zuneigung, die er stets für dieses unbefangene, zurückhaltende Mädchen emp funden hatte.
Sie lebten in verschiedenen Welten, und wenn sie sich zufällig begegneten, sah sie Renzo stets bewundernd, aber auch etwas schüchtern an. In dem Moment rissen die Worte seines Vaters Renzo aus seinen Gedanken: »Der Graf hat mir vorgeschlagen, den Palazzo im Ort zu kaufen. Was hältst du davon?«
»Man muss einiges investieren, um ihn zu restaurieren«, sagte Renzo.
»Ich habe da so eine Idee. WeiÃt du noch, als mein Vater krank wurde und wir ihn nach Palazzolo in die Reha bringen mussten? Etwas in der Art könnten wir aus dem Palazzo machen, so etwas wie ein Altersheim. Ist die Villa erst einmal restauriert, wird sie wieder in alter Pracht erstrahlen. Der Garten ist groÃ, und die alten Herrschaften sind gern von Grün umgeben. Wir könnten eine gemütliche Altersresidenz daraus machen, für die Eltern und GroÃeltern unserer Leute, unserer Angestellten und Arbeiter. Mit Geld vom Gesundheitsministerium könnten die Cantonis so etwas zur Unterbringung und Pflege dieser Menschen beitragen, deren Vorfahren schon vor Jahrhunderten von den Vorfahren des Conte ausgebeutet worden sind.«
»Am besten, wir rechnen das mal durch. Dann sehen wir gleich, wie viel uns ein solches Projekt kosten würde«, schlug Renzo vor.
»Ruf den Grafen an und sag ihm, dass wir kaufen«, befahl Amilcare.
Renzo gehorchte, und Celina ging ans Telefon. Als er ihre Stimme hörte, gab das seinem Herzen einen Stich.
2
M ein Vater ist für ein paar Tage verreist, aber ich weiÃ, wie wichtig ihm der Verkauf des Palazzos in Villanova ist. Ich habe die Schlüssel, und wenn es dir passt, könnte ich ihn dir noch einmal zeigen«, schlug Celina vor.
»Sag mir einfach, wann, dann komme ich zur Piazza und warte auf dich«, erwiderte Renzo.
Am selben Nachmittag noch öffnete die Contessina das schwere Holztor, und die beiden jungen Leute betraten das eindrucksvolle, aber seit Langem schon unbewohnte Gebäude.
Während sie von einem Saal in den anderen gingen, Treppen hinauf- und wieder hinabstiegen, durch riesige Flure liefen und das Nachmittagslicht durch die Fenster fiel, war Renzo vom Maiglöckchenduft der jungen Frau eingehüllt. Ihre Stimmen hallten in den Räumen wider, in denen nur noch ein paar durchgesessene Rokokosofas, einige Tischchen und die schönen alten Fliesen zurückgeblieben waren und wo die Spinnen ihre Netze sponnen. An vielen Stellen waren die Wände mit Schimmel bedeckt, der die Fresken zerstörte.
»Komm, ich zeige dir das Napoleon-Zimmer und das Bad, in dem der Kaiser etwas sehr Intimes verloren haben soll«, schlug Celina fröhlich vor.
»Wenn ich an all die Zimmer denke, in denen Napoleon angeblich geschlafen hat, könnte man meinen, dass der Italienfeldzug im Bett und nicht auf dem Feld geführt wurde«, bemerkte Renzo, der bereits zig ähnliche Räume in anderen Adelspalästen der Gegend besichtigt hatte.
»Aber bei den Olgiatis war er wirklich«, erwiderte Celina amüsiert und öffnete eine Tür, die in einen kleinen Raum führte, in dem nur eine Zinkwanne und ein niedriges Holzgestell standen.
»Darin befand sich früher eine ovale Wanne aus massivem Silber, die zusammen mit dem übrigen Silber verkauft worden ist. Wer weiÃ, wofür
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