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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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willst du?‹, hast du mich plötzlich gefragt, als du dich beobachtet fühltest. Ich bin rot geworden und habe ›nichts‹ geflüstert, wobei mir die Tränen in die Augen stiegen. Da hast du eine gelbe Margerite gepflückt und sie mir mit den Worten überreicht: ›Schau nur, wie schön! Sie hat eine dunkle Mitte in der Farbe deiner Sandalen, und die Blütenblätter sind so golden wie dein Haar.‹ Diese Margerite bewahre ich noch heute zwischen den Seiten meines Gebetsbuches auf, das ich zur Erstkommunion bekommen habe.«
    Â»Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern«, sagte Renzo und sah sie zärtlich an.
    Celina fuhr fort: »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Am Tag darauf, einem Sonntag, bin ich mit meiner Familie in die Kirche gegangen. Wir saßen in der ersten Bank, die für die Olgiatis reserviert ist, direkt vor dem Altar. Du hast hinter mir gesessen. Ich habe mich die ganze Messe über immer wieder nach dir umgesehen. Deine Mutter war nicht dabei, dein Bruder betete konzentriert, dein Vater kniete mit geschlossenen Augen, und du hast unruhig auf das Ende der Messe gewartet. Du hast mich nicht eines Blickes gewürdigt. Doch als wir die Kirche verließen, hast du mir ein Lächeln geschenkt. Mit deinem dunklen, zerzausten Haar bist du mir vorgekommen wie ein Erzengel. Ich habe mir vorgestellt, dass unter deinem Jackett deine Flügel verborgen wären. Ich habe das Gebetbuch mit deiner Margerite darin umklammert und gehofft, dass du dein Jackett ausziehen würdest, um mir deine Flügel zu zeigen und dann mit mir davonzufliegen. Ich frage mich, warum ich mir von all den Jungen, die ich kannte, ausgerechnet dich ausgesucht habe, der du so ganz anders warst als wir«, endete Celina.
    Â»Vielleicht weil du Mitleid mit mir hattest. Ich war kein glückliches Kind. Ich bin ohne Mutter aufgewachsen. Du dagegen warst immer so heiter und gelassen, so blond und zierlich und elegant. In meiner Fantasie brauchte ich dich nur zu berühren, und du wärst in tausend Stücke zerbrochen. Irgendwann bist du dann nicht mehr mit nach Villanova gekommen. Und ich habe mich nach dem Internat an der Universität eingeschrieben, mein Examen gemacht und in der Fabrik meines Vaters angefangen. In Mailand war ich oft mit meinen Kommilitonen unterwegs und konnte beobachten, dass der sogenannte Jetset fast nur aus Idioten besteht, die idiotisches Zeug reden und sich idiotisch verhalten. Bis auf wenige Ausnahmen betrinken sich die meisten hauptsächlich, ziehen von einem Lokal, von einer Stadt, von einem Kontinent zum anderen, wobei sie ihr beängstigendes Mittelmaß und ihre mit nichts zu füllende innere Leere stets mit sich herumschleppen. Mehr als einmal war ich auf einer ›exklusiven Party‹, wo der Champagner in Strömen floss, die Moral aber dermaßen zu kurz kam, dass mir ganz schlecht wurde.
    Manchmal sind wir uns über den Weg gelaufen, und du warst so anders als die anderen! Wir haben uns kurz unterhalten, und dann bin ich wieder gegangen.
    Als ich erfahren habe, dass du heiraten wirst, hat mir das das Herz gebrochen. Und als ich in der Zeitung gelesen habe, dass dein Verlobter ums Leben gekommen ist, tat mir das ehrlich gesagt kein bisschen leid.«
    Â»Das ist ja eine richtig aufrichtige Beichte«, bemerkte Celina mit einem Lächeln.
    Renzo stand abrupt auf und sah sie zärtlich an: »Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr erschreckt. Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe.«
    Â»Du hast gesagt, dass du mich liebst. Was erwartest du jetzt von mir?«, fragte sie und blieb auf der Bank sitzen.
    Er nahm ihre Hand und küsste sie.
    Â»Nichts, gar nichts. Es tut mir leid, dass du leidest.«
    Â»Ich empfinde tiefen Schmerz über Filippos Tod. Aber noch mehr leide ich aus einem ganz anderen Grund«, gestand die junge Frau, deren Augen sich mit Tränen füllten.
    Renzo nahm wieder gegenüber von ihr Platz und musterte sie neugierig, wartete geduldig, bis sie weitersprach.
    Â»Filippo gehörte zu den ›richtigen Leuten‹, wie du sie so schön genannt hast. Aber ich kann dir versichern, dass er ein anständiger Mensch war, der es selbst zu etwas bringen wollte. Die Politik und die Finanzen waren seine Welt. Seine Lieblingsbücher waren Wirtschaftsratgeber – Musik und Literatur haben ihn gelangweilt. Er war sehr reich, und das hat meinem Vater gefallen, der jetzt nach Filippos Tod

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