Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
Vom Netzwerk:
werde dich anschließend anzeigen.«
    Â»Ich werde nicht über dich herfallen, und das weißt du auch. Tu nicht so unschuldig, denn das bist du nicht!«, erwiderte er gereizt.
    Sie senkte den Blick und sagte: »Ich habe ein verzweifeltes Bedürfnis nach Ruhe, und die finde ich, wenn auch nur vorübergehend, beim Gebet in der Kirche. Nur Gott kennt die Wut, die in mir ist und die mich von innen verzehrt. Ich wäre gern so lebenslustig wie die anderen jungen Frauen. Sie stellen sich keine Fragen. Sie arbeiten, weil es sein muss, und amüsieren sich ansonsten. Und sie sind glücklich. Sie haben einen festen Freund, schmieden Zukunftspläne, gehen tanzen, verabreden sich und lachen und plaudern endlos miteinander. Aber was haben sie sich schon groß zu erzählen? Ich schweige lieber und denke nach. Meine Gedanken überschlagen sich und quälen mich. Also fange ich an zu beten, um Ruhe und Frieden zu finden. Ich hatte noch nie einen Freund. Wenn mir jemand den Hof gemacht hat, war ich nicht etwa geschmeichelt, sondern wütend, weil ich nicht daran geglaubt habe, dass es ernst gemeint war. Bei solchen Gelegenheiten fahre ich die Krallen aus. Als ich noch klein war, habe ich gesehen, wie meine Mutter Öl auf das Brot getan hat, das sie für meinen Vater, meine Geschwister und mich abgeschnitten hat. Dann hat sie die Krümel zusammengefegt, sie in den Mund gesteckt und gesagt: ›Ich habe keinen Hunger.‹ Dann kamen mir die Tränen, und ich hatte eine Mordswut, weil ich wusste, dass sie log. Du hast ja keine Ahnung, welche Armut in Kalabrien auf dem Land geherrscht hat. Du kennst den Zynismus nicht, mit dem die Polizei die fliegenden Händler behandelt hat, so als wären sie Tiere. Es war der Hunger, der uns gezwungen hat, nach Norditalien zu gehen. Obwohl mein Großvater, der Vater meines Vaters, angeblich Geld und Land hatte! Nur leider nicht für uns. Wir wurden davongejagt. In Villanova mussten wir endlich nicht mehr hungern. Kleidung bekamen wir von der Kirchengemeinde, und deine Familie hat uns Kinder in ihre Villa eingeladen und Süßigkeiten geschenkt. Und dort warst du. Du warst so perfekt, dass es fast schon unwirklich war. Wegen jeder Kleinigkeit hast du dich an deine Mutter gewandt: ›Darf ich Mama? Erlaubst du, Mama?‹ Das war so schön, so niedlich und elegant … Ich habe dich geliebt. Wenn du mit mir geredet hast, hätte ich weinen können vor Freude, und dafür habe ich dich gehasst, verstehst du? Ich war verwirrt und habe schon damals gelitten. Ich frage mich, ob der Sinn meines Lebens in dieser großen Verwirrung besteht. Und jetzt provozierst du mich auch noch, sodass es mir schlechter geht als je zuvor. Wir beide haben nichts gemeinsam.«
    Sie sah zu ihm auf und lächelte traurig.
    Â»Heute Abend teilen wir zumindest das Essen«, sagte Guido, der ihr intensiv zugehört hatte.
    Im Ofen standen Gnochetti mit Gorgonzola bereit sowie Fleischklößchen mit Ofenkartoffeln.
    Sie aßen am Marmortisch in der Küche, saßen einander gegenüber und wechselten nur wenige Worte.
    Anschließend bestand sie darauf abzudecken.
    Guido beobachtete ihre raschen, präzisen Gesten.
    Als die Küche aufgeräumt war, lächelte ihm Amaranta zu und sagte: »Jetzt möchte ich wieder nach Hause.«
    Guido wollte sie nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht bringen. Er war aufrichtig in sie verliebt und wollte ihre Wünsche respektieren.
    Â»Ich fahre dich.«
    Als sie vor der Fabrik standen, rief Guido den Nachtwächter an, damit er ihnen das Tor öffnete. Sie mussten noch Amarantas Fahrrad vom Vorplatz holen.
    Sie luden es in den Kofferraum und fuhren zur Cascina Pompea, wo die junge Frau inzwischen allein lebte.
    Guido gab ihr das Rad zurück und sagte: »Danke, dass du mir von dir erzählt hast.«
    Â»Es gibt noch genug, was ich dir verschwiegen habe«, erwiderte sie.
    Â»Zum Beispiel?«, fragte Guido neugierig.
    Â»Ich habe ein Kind geboren«, eröffnete sie ihm und ließ ihn sprachlos zurück.

11
    D er Kioskbesitzer, der in der Cascina Pompea lebte, war um vier Uhr morgens aufgestanden, um zu seinem Kiosk zu gehen und die Lieferung der Zeitschriften und Zeitungen entgegenzunehmen. Als er den Hof verließ, sah er ein Auto vor dem Tor stehen und hinterm Steuer die Umrisse eines Mannes, der die Stirn aufs Lenkrad gelegt hatte.
    War er tot oder lebendig? Er klopfte ans Fenster. Der

Weitere Kostenlose Bücher