Bei Dir bin ich geborgen
die Augen wieder öffnete, lag in ihrem Blick eine solche Verzweiflung, dass sich Dan das Herz zusammenzog. „Nur wenige wissen davon.“ Sie holte tief Luft, so schwer schien es ihr zu fallen, ihre Geschichte zu erzählen.
„Es ist schon gut, mir kannst du es sagen“, sagte Dan. Sein Entschluss, sich nicht zu sehr auf Glynnis einzulassen, schien wie weggeblasen.
„Als ich zwanzig war, hatte ich ein Kind… ein kleines Mädchen. Dieses Jahr wird sie neunzehn. Ich… ich habe sie damals zur Adoption freigegeben.“ Glynnis sank zusammen und verbarg ihr Gesicht, als sie von Schluchzern geschüttelt wurde.
Dan stand auf und ging um den Tisch herum zu Glynnis. Dann zog er sie von ihrem Stuhl hoch und nahm sie in die Arme. Als er sie so zitternd in den Armen hielt, merkte er, dass seine Gefühle für Glynnis längst die Grenze zur Freundschaft überschritten hatten und sich in etwas viel Stärkeres verwandelt hatten – etwas, das sein Verderben werden würde, wenn er sich nicht vorsah.
Als ihre Tränen nachließen, schien sie sich zu erinnern, wer sie tröstete, und spannte sich an. Sofort lockerte Dan seine Umarmung.
„Ich… es tut mir Leid“, sagte sie und suchte in ihrer Jeans ein Taschentuch, um sich die Nase zu putzen.
„Du musst dich nicht entschuldigen.“
„Ich scheine mich gern an deiner Schulter auszuweinen.“ Um die Atmosphäre etwas zu lockern, lächelte er. „Dafür ist sie ja da.“ Als er sah, dass sie das keineswegs tröstete, fragte er leise: „Willst du mir die Geschichte nicht erzählen?“
Glynnis schöpfte lang und zittrig Atem. „Bist du sicher, dass du es hören willst?“
„Ja.“
„Wie wär’s, wenn ich vorher noch einmal Kaffee mache?“
„Okay.“
„Möchtest du noch Kuchen?“
Er grinste. „Was soll’s. Man lebt nur einmal.“
Sie lächelte zittrig, aber immerhin war es ein Lächeln.
Eine Weile später, mit zwei dampfenden Tassen Kaffee und Dans zweitem Stück Kuchen, begann Glynnis zu erzählen.
„Greggs und meine Eltern starben, als wir sechzehn waren. Es war hart für uns, besonders für mich.“
Dan dachte an seine eigenen Eltern, beide über siebzig und immer noch gesund und selbstständig. Er wusste, welches Glück er hatte. „Das ist schlimm. Was ist passiert?“
„Es war ein Unfall. Sie waren auf dem Heimweg von einer Hochzeit in Pittsburgh.
Gregg und ich waren nicht mitgekommen, weil an dem Wochenende eine Basketballmeisterschaft stattfand und Ivy gute Chancen auf den Aufstieg hatte.
Gregg spielte damals in dem Team.“ Sie lächelte wehmütig. „Und ich war Cheerleader.“
Dan lächelte auch. „Ich sehe dich vor mir.“
Ihr Lächeln verschwand. „Sie fuhren auf der Interstate. Das Wetter war schlecht, es schneite stark, aber sie wollten unbedingt noch nach Hause fahren, denn am nächsten Tag hatten Gregg und ich Geburtstag. Jedenfalls, der Fahrer eines Reisebusses verlor die Kontrolle über das Steuer und durchbrach die Leitplanken.
Er traf den Wagen meiner Eltern frontal, sie waren sofort tot. In zwei weiteren Autos starben noch vier andere Leute. Es war ein Albtraum.“
„Glynnis, das ist ja furchtbar. Das tut mir wirklich Leid.“
„Es war schrecklich für uns.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. Die Küchenuhr schien lauter zu ticken, als Glynnis schwieg. „Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater.“
„Was passierte danach? Haben du und Gregg allein gewohnt?“
„Nein. Aunt Rita, die Tante meiner Mutter, wohnte bei uns, bis wir mit der High School fertig waren.“ Bei der Erinnerung an die Großtante hellten sich ihre Züge auf. „Sie war ein Schatz. Sie hat uns sehr geholfen, den Verlust zu überwinden.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Sie ist vor sieben Jahren gestorben, mit einundachtzig. Ich vermisse sie immer noch. Jedenfalls gingen Gregg und ich nach der High School aufs Ohio State College. Eigentlich wollte er auf ein anderes College, wo er weiterhin hätte Basketball spielen können, aber er wollte mich nicht allein lassen.“ Sie hob wieder ihre Tasse, als wollte sie sich die Hände wärmen. „Er hätte sogar ein Stipendium bekommen. Er tat, als wäre es nichts, aber er hat eine Menge für mich aufgegeben.“
In der Tat, dachte Dan. Auch wenn er seine sechs Geschwister liebte, er konnte sich nicht vorstellen, dass er je so selbstlos wie Gregg gehandelt hätte.
„Am Ende meines ersten Jahres auf dem College“, fuhr Glynnis fort, „verliebte ich mich in einen meiner Professoren. Er war verheiratet,
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