Bei Einbruch der Nacht
Apparat zu nutzen, der sich unter der Bar befand. Adamsberg bückte sich und schaltete den Fernseher ein.
»Gibt's Ärger?« fragte ihn Enid mit ihrem sehr soliden irischen Akzent.
»Es geht um einen Wolf, der Schafe frißt, aber sehr weit weg von hier.«
»Und was hat das mit Ihnen zu tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich weiß es nicht« war eine der gebräuchlichsten Antworten Adamsbergs. Er verwendete sie nicht aus Trägheit oder Zerstreutheit, sondern weil er die richtige Antwort wirklich nicht wußte und das sagte. Dieses passive Unwissen faszinierte und irritierte seinen Stellvertreter Danglard, der nicht gelten ließ, daß man in Unkenntnis der Sache klug handeln könne. Ja, mehr noch, dieses Schwanken war die natürlichste und produktivste Eigenschaft von Adamsberg.
Enid war, die Arme vollbeladen mit Tellern, wieder gegangen, um zu servieren, und Adamsberg konzentrierte sich auf die beginnenden Nachrichten. Er hatte den Fernseher so laut wie möglich gestellt, denn im Lärm der Schwarzen Wasser gab es keine andere Möglichkeit, die Stimme des Moderators zu hören. Seit Donnerstag hatte er jeden Abend die Nachrichten verfolgt, aber der Wolf des Mercantour war nicht mehr erwähnt worden. Es war vorbei. Dieses plötzliche Ende überraschte ihn. Er war überzeugt davon, daß es sich nur um eine kurze Ruhepause handelte, daß die Geschichte weitergehen würde, und zwar nicht sehr lustig und wie von einer schicksalhaften Notwendigkeit angetrieben. Warum, wußte er nicht. Und warum ihn das interessierte, genausowenig. Das hatte er Enid gesagt.
Er war also nicht allzu überrascht, als er den inzwischen vertrauten Dorfplatz von Saint-Victor-du-Mont auftauchen sah. Er setzte sich dicht an den Bildschirm, um besser zu hören. Fünf Minuten später richtete er sich etwas erschüttert auf. War es das, was er erwartet hatte? Den Tod einer Frau, der in ihrem Schafstall die Kehle zerfetzt worden war? Hatte er damit nicht tief in seinem Inneren die ganze Woche gerechnet? In jenen Augenblicken, in denen die Wirklichkeit auf absurde Weise mit seinen düstersten Erwartungen verschmolz, hatte Adamsberg beinahe Angst vor sich selbst. Sein tiefes Inneres hatte ihm nie richtig Vertrauen eingeflößt. Er mißtraute ihm so wie dem verkohlten Inneren eines Hexenkessels.
Langsam ging er zurück an seinen Tisch. Enid hatte ihm das Essen gebracht, und er zerteilte die Kartoffel, ohne sie zu sehen, eine gute alte Kartoffel mit Käse, wie er sie in den Schwarzen Wassern von Dublin immer bestellte. Er fragte sich, warum ihn der Tod dieser Frau nicht überrascht hatte. Verdammt, Wölfe griffen keine Menschen an, sie machten sich dünne. Vielleicht noch ein Kind, aber keinen Erwachsenen. Da hätte sie ihn schon in die Enge treiben müssen. Und wer ist so bescheuert, einen Wolf in die Enge zu treiben? Und doch mußte genau das geschehen sein. Derselbe besonnene Tierarzt aus den ersten Berichten war auf den Bildschirm zurückgekehrt. Platz für die Wissenschaft. Er hatte wieder von den Reißzähnen geredet, und hier, und da, das erste Loch, das zweite Loch. Dieser Typ war todlangweilig. Aber er schien sein Metier zu beherrschen und hatte im Brustton der Überzeugung erklärt, daß es das Maul eines Wolfs war, des großen Wolfs vom Mercantour, das der Frau die Kehle zerfetzt hatte. Ja, er hätte überrascht sein müssen.
Mit gerunzelter Stirn schob Adamsberg seinen leeren Teller zurück und schüttete Zucker in seinen Kaffee. Vielleicht war ihm das alles von Anfang an seltsam vorgekommen. Zu fabelhaft oder zu poetisch, um wahr zu sein. Wenn im Leben unvermutet Poesie auftaucht, ist man erstaunt, ist man hingerissen, aber kurz darauf wird einem bewußt, daß man sich hat leimen lassen, daß es nur ein Trick, nur ein Betrug war. Vielleicht hatte er es für ein Märchen gehalten, daß ein riesiger Wolf aus der Dunkelheit auftauchte, um sich auf ein Dorf zu stürzen. Aber, verdammt, es waren doch Wolfszähne. Ein wahnsinniger Hund vielleicht? Nein, der Tierarzt war in seiner Antwort auf diese Frage ziemlich deutlich gewesen. Natürlich war es sehr schwer, aufgrund einfacher Bißspuren den Unterschied zu erkennen, aber trotz allem, kein Hund. Domestizierung, Bastardisierung, Kleinerwerden, Verkürzung der Schnauze, die Überschneidung der vorderen Schneidezähne, Adamsberg hatte nicht alles behalten, aber soviel war klar: Ein Hund konnte es angesichts des großen Abstands, der zwischen den Zahnabdrücken herrschte, nicht sein. Außer
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