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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ging um die Bank herum und nahm die Waffe an sich. Sabrina krümmte sich zusammen und brach in Tränen aus. Er setzte sich neben sie, nahm ihr sorgfältig die graue Haube ab und strich über ihr rotes Haar.
    »Steh auf«, sagte er behutsam. »Einer von meinen Leuten wird dich hier abholen. Er heißt Danglard. Er bringt dich nach Paris zurück, und dort wirst du auf mich warten. Ich habe hier noch zu tun. Aber du wirst auf mich warten. Und wir fahren den Jungen holen.«
    Taumelnd stand Sabrina auf. Adamsberg legte ihr den Arm um die Taille und begleitete sie in die Gendarmerie. Einer der Gendarmen besah sich den Knöchel des Wachers.
    »Helfen Sie mir, ihn in den Laster zu tragen«, sagte Camille. »Ich fahr ihn zum Arzt.«
    »In Ihrem Laster stinkt's ja gewaltig«, sagte der Gendarm, als er den Wacher auf das erste Bett rechts legte.
    »Es stinkt nicht«, sagte der Wacher. »Das ist der Wollschweiß.«
    »Wohnen Sie hier?« fragte der Gendarm, den der hergerichtete Viehtransporter sichtlich verstörte.
    »Nur vorübergehend«, sagte Camille.
    In dem Moment stieg Adamsberg in den Laster.
    »Wie geht es ihm?«
    »Der Knöchel«, erwiderte der Gendarm. »Ich glaube, es ist nichts gebrochen. Aber es wäre besser, zum Arzt zu gehen. Für Sie auch, Kommissar«, fügte er hinzu und sah auf Adamsbergs Arm, der notdürftig verbunden war.
    »Ja«, erwiderte Adamsberg. »Es ist nicht tief. Ich kümmer mich schon drum.«
    Der Gendarm hob die Hand an sein Käppi und verließ den Laster. Adamsberg setzte sich auf das Bett des Wachers.
    »Na?« sagte der Wacher und grinste. »Ich hab dich gerettet, Junge.«
    »Wenn du nicht geschrien hättest, hätte ich die Kugel direkt in den Wanst bekommen. Ich hatte sie nicht erkannt. Ich habe nur an Massart gedacht.«
    »Ich dagegen«, sagte der Wacher und zeigte auf sein Auge, »ich wache. Man nennt mich schließlich nicht umsonst den Wacher.«
    »Nicht umsonst.«
    »Ich hab nichts für Suzanne tun können«, sagte er düster, »aber für dich schon. Ich hab dir deine Haut gerettet, mein Junge.«
    Adamsberg nickte.
    »Wenn du mir mein Gewehr dagelassen hättest«, fuhr der Wacher fort, »hätte ich auf sie geschossen, bevor sie dich getroffen hätte.«
    »Sie ist ein armes Mädchen, Wacher. Es hat gereicht, zu schreien.«
    »Hm...«, erwiderte der Wacher skeptisch. »Was hast du ihr ins Ohr geflüstert?«
    »Die Weichenstellung.«
    »Ah ja«, sagte der Wacher lächelnd. »Ich erinnere mich.«
    »Ich bin dir was schuldig.«
    »Ja. Besorg mir Weißwein. Die Flaschen von Saint-Victor haben wir alle ausgetrunken.«
    Adamsberg verließ den Laster und schloß Camille wortlos in die Arme.
    »Laß dich versorgen«, sagte sie.
    »Ja. Wenn der Wacher beim Arzt war, dann fahrt nach Châteaurouge. Wartet am Ortseingang an der D 44.«

32
    Wo immer sie anhielten, wurde das Kampieren auf dieselbe Weise geregelt, nach einer strengen Planung, die sich um kein Jota mehr veränderte, so daß Camille anfing, die vielen Ortseingänge, an denen sie den Viehtransporter abgestellt hatte, miteinander zu verwechseln. Dieses System, das sich Solimans strukturierter und gewissenhafter Geist ausgedacht hatte, bot den Vorteil, an so wüsten Orten wie einem Parkplatz oder einem Straßenrand eine beruhigende Vertrautheit zu schaffen. Soliman stellte die Holzkiste und die rostigen Klappstühle für die Mahlzeiten hinter dem Laster auf und wusch die Wäsche an der rechten Seite. Camille komponierte daher in der Fahrerkabine, aber verzog sich nach hinten, wenn sie mit Hilfe des Katalogs meditieren wollte.
    Bei dem chaotischen und gewagten Rennen, das sie an Massart kettete, fand Camille in der Unveränderlichkeit dieses Arrangements einen wohltuenden Rückhalt. Es war vielleicht nicht gerade etwas Besonderes, sich an vier Klappstühle zu klammern, aber für den Augenblick war das ein wesentlicher Bezugspunkt geworden. Vor allem jetzt, wo ihr Leben sich in radikaler Unordnung befand. Sie hatte sich an diesem Tag nicht getraut, Lawrence anzurufen. Sie fürchtete, daß irgend etwas von dieser Unordnung sich in ihrer Stimme verraten würde. Der Kanadier war ein methodischer Mensch, er würde es mit Sicherheit hören.
    Soliman hatte den Spätnachmittag damit verbracht, den Wacher überall herumzutragen - zum Aussteigen, zum Einsteigen, zum Pinkeln, zum Essen -, und behandelte ihn wie einen Greis.
    »Du hast die verdammten Stufen ja ganz ordentlich verpaßt«, sagte er zu ihm.
    »Ohne mich«, antwortete der Wacher hochmütig,

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