Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
mein Junge, hier wird nichts schlecht.«
Doris drehte sich kurz um, schoss einen giftigen Blick zum Tresen und rutschte näher an Anke heran. »Unmöglich«, sagte sie. »Als würde die Bar ihnen allein gehören. Mit solchen Typen hast du zu tun, wenn du eine Weinhandlung aufmachst.«
»Doris, es geht nicht um den Weinladen. Aber könntet ihr euch nicht vorstellen, noch einmal was ganz Neues anzufangen?«
»Mit fünfzig?« Mit einem Blick auf die Uhr korrigierte sie sich: »Fast fünfzig? Was soll ich machen? Mich als Praktikantin bei einer Agentur bewerben? Oder wieder an die Uni? Das kannst du doch vergessen. Katja hat recht, man muss die Dinge kennen, mit denen man Geld verdient.«
»Es geht ja nicht nur ums Geld«, wandte Anke sofort ein. »Mir geht es um die Lust.«
»Ach, auf einmal?« Süffisant grinsend legte Katja ihre Hand aufs Bein von Anke.
Mit lautem Krachen fiel ein Barhocker um, gefolgt von einer Lachsalve. »Karsten, geht’s?«
Karsten rappelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hoch und stellte den Hocker wieder auf. »Das Scheißding wackelt.« Zur Bekräftigung rüttelte er an einem Bein, das er anschließend in der Hand hielt. »Da, bitte. Ich breche mir fast das Genick und ihr lacht.«
|237| Seine Kollegen kriegten sich kaum wieder ein. »Hahaha, verklag doch das Hotel. Ich kenne da welche, die sich mit Versicherungen auskennen. Ich hole dir gleich ein Formular aus dem Zimmer. Machen Sie mal noch eine Runde fertig, auf den Schreck brauchen wir erst mal jeder einen Ramazotti.«
Katja stand auf und ging zum Tresen. Sie stellte sich genau vor den Barkeeper, wartete einen Moment und sagte dann mit ihrer sanftesten Stimme: »Wären Sie so nett dafür zu sorgen, dass es hier mitteleuropäisch zugeht? Wir würden uns nämlich gern unterhalten, was bei diesem Lärm aber nicht möglich ist.«
»Was?« Der gefallene Karsten war schon wieder bei Stimme. »Sind wir etwa zu laut?«
Katja drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an, als würde sie dafür bezahlt. »Ja.«
»Also …«
Der offenbar Älteste der Runde schob seinen Kollegen zur Seite. »Alles gut, junge Frau. Wir wollen hier keinen Streit. Also, Jungs, die Damen hätten es gern ruhiger.«
Katja sah ihn lange an. »Wir trinken Rotwein. Und danke.«
Mit einem Hüftschwung und unter den verblüfften Augen der Seminarteilnehmer ging sie zurück an den Tisch und setzte sich wieder.
»Er hat wenigstens ›junge Frau‹ gesagt.«
»Dass du dich das traust.« Doris blickte sie fast bewundernd an. »Die hätten dich ja auch anpöbeln können.«
»Das sind Versicherungsvertreter«, antwortete Katja leichthin. »Die können sich das nicht leisten. Und im Übrigen finde ich: Eines der schönen Dinge am Älterwerden ist, sich nichts mehr gefallen lassen zu müssen. Schon gar nicht von diesen Kindern im Anzug, die in einer Bar lärmen.«
|238| Der Kellner brachte eine zweite Flasche Rotwein. »Mit Empfehlung von den Herren. Ich hoffe, Sie sind nicht verärgert.«
»Nein.« Doris wartete ab, bis er die Flasche geöffnet hatte. »Jetzt nicht mehr. Vielleicht werden wir auch gleich mal laut.«
Er sah sie verständnislos an, dann ging er wieder.
»Wir sind zu selten laut, oder?« Doris hielt ihr Glas in der Hand und lächelte. »Zumindest war ich in den letzten Jahren immer zu leise. Mädels, gleich werde ich ein halbes Jahrhundert alt und ich glaube, ich habe erst in den letzten zwei Tagen angefangen, zu denken. Jetzt werde ich auch noch theatralisch, ich merke es selbst. Also: anderes Thema.«
»Du warst früher gar nicht leise.« Anke sah Doris an und grinste plötzlich. »Weißt du, was mir gerade eingefallen ist? Dein Lachkrampf auf der letzten Weihnachtsfeier vor dem Abitur. Du hast so gebrüllt, dass du von der Bühne gestürzt bist. Hast du dir nicht sogar etwas gebrochen?«
»Außenbandriss im Sprunggelenk. Das musste dann operiert werden. Sechs Wochen Gips.« Doris lachte. »Nur weil Frau Schröder im Hof ausgerutscht ist.«
»Das weiß ich gar nicht mehr.« Katja sah zwischen den beiden hin und her. »War ich nicht dabei?«
Anke biss sich auf die Unterlippe, um ihr Lachen zu unterdrücken, und versuchte, ernsthaft zu antworten. »Ich glaube, du hattest Grippe oder so etwas. Ein paar Schüler aus der Dreizehnten mussten auf der Bühne stehen und durchs Programm führen, Doris Goldstein und ich gehörten dazu. Und dann plötzlich, bei der Ansage der fünften Klasse, die irgendeinen Weihnachtssketch aufführen sollte, hat Doris
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