Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
gesagt.«
Langsam hob Anke den Kopf und sah Katja an. Doris schnappte regelrecht nach Luft. »Deshalb hattest du so schnell das Volontariat? Du hast gesagt, der Chefredakteur sei ein Freund deines Vaters gewesen. Hat denn keiner gefragt, warum Anke und ich nicht wollten?«
»Doch.« Katja hielt Ankes Blick stand. »Ich habe gesagt, ihr hättet schon Studienplätze. Das stimmte für Doris ja auch. Dr. Winter hat mir geglaubt, dass es mit euch abgesprochen wäre. Ich bin einfach damit durchgekommen, es war nicht zu fassen.«
»Ich habe dich so beneidet.« Ankes Stimme war rau. »Ich dachte, du hättest einfach mehr Glück als ich. Dass du nur weniger Skrupel hattest, darauf bin ich nicht gekommen.«
Sie schwang ihre Beine vom Bett und stand auf. Doris sah ihr erschrocken zu.
»Wo willst du hin?«
Mit ruhigen Bewegungen durchsuchte Anke ihre Handtasche. »Ich gehe auf den Balkon und rauche eine Zigarette. Allein. Sonst mache ich auch gleich etwas, das mir noch in zwanzig Jahren leidtut.«
|254| Die Balkontür fiel hinter ihr zu. Im Schein des Feuerzeugs war ihr Gesicht kurz zu erkennen, danach wurde es von der dunklen Nacht verschluckt. Nur die helle Glut verriet, dass sie dort stand und rauchte.
»Warum hast du uns das jetzt erzählt?«, fragte Doris sehr leise. »Wolltest du dein Gewissen beruhigen? Nach so langer Zeit?«
»Ich weiß es nicht.« Katjas Stimme klang tränenerstickt und Doris stellte verblüfft fest, dass die coole Severin heulte wegen einer Geschichte, die so alt war, wie ihr derzeitiger Liebhaber. Sie griff nach einem Paket Taschentücher, die auf dem Nachttisch lagen, und warf sie ihr zu.
»Danke.« Umständlich putzte Katja sich die Nase. »Ich habe mir damals gar nicht so viele Gedanken gemacht. Aber in den Tagen hier kam so vieles wieder hoch. Und irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass auch ich Schuld an Ankes Situation habe. Hätte sie das Volontariat gemacht, wäre daraus auch eine Karriere geworden, da bin ich mir fast sicher. Jetzt beschäftigt sie sich für wenig Geld mit Meerschweinchen und Zwerghasen, das ist doch furchtbar. Das kann ich doch nie wiedergutmachen.«
Die Balkontür ging plötzlich wieder auf. Katja biss sich auf die Lippen und putzte sich noch mal die Nase. Sie beobachtete Anke, die eine Zigarettenschachtel in ihrer Handtasche verstaute und sich anschließend auf den alten Platz im Bett setzte.
»Du bist total verschmiert, Severin«, sagte sie mit einem Seitenblick. »Mach mir keine Make-up-Flecken ins Bett. Und du redest völligen Schwachsinn. Die Balkontür war nicht ganz zu. Von wegen Schuld an meiner Situation. Wofür hältst du dich? Für den lieben Gott? Ein Volontariat ist |255| doch keine Garantie für eine Karriere bei einer Zeitung. Es wäre ein Anfang gewesen, okay, und den hast du mich nicht machen lassen. Aber das alles ist drei Jahrzehnte her. Vielleicht hätte ich es gar nicht durchgezogen, vielleicht hätte es mir auch nicht gefallen, vielleicht hätte mein Talent nicht gereicht, aber das ist jetzt auch alles egal. Geh dich mal abschminken, du hast schon ganz rote Augen vom Reiben. Und dabei kannst du dir ja einen anderen Anfang überlegen, etwas, das wir jetzt machen können. Und bring schon mal den kleinen Champagner aus deiner Minibar mit, der geht auf dich.«
Während Katja in ihrem Zimmer damit beschäftigt war, sich die Reste ihres Make-ups aus dem Gesicht zu wischen, blieben Anke und Doris in dieser halb liegenden, halb sitzenden Stellung auf dem Bett.
Anke hatte ihren Blick wieder auf die nächtliche Ostsee gerichtet. Sie bewegte sich nicht, sie wollte keine Energien mehr auf etwas verschwenden, was nicht zu ändern war.
»Ich hätte niemals gedacht, dass Katja so ehrgeizig ist«, sagte Doris plötzlich. »Sie hat alles immer so spielerisch gemacht und nichts richtig ernst genommen. Eigentlich müsstest du richtig sauer auf sie sein.«
Anke zuckte die Achseln. »Das nützt doch nichts. Komisch, ich habe immer gedacht, ich hätte einfach nur Pech gehabt. Eigentlich ist es ganz erleichternd, wenn man plötzlich erfährt, dass nicht das Schicksal, sondern dass Severin das Ding gedreht hat. Wäre ich damals zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen, hätte ich vielleicht die Stelle bekommen. Alles wegen der blöden Weisheitszähne.«
»Es war aber unfair. Ich hatte ja nie richtiges Interesse daran, |256| zu einer Zeitung zu gehen. Aber du wolltest es, und das wusste Katja auch. Und trotzdem hat sie dich
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