Bei Interview Mord
Unterholz. Es musste der kleine Weg sein, den ich nachts heraufgekommen war.
Ich lauschte. Stille. Nur leises Blätterrauschen und fernes Rufen aus dem Garten.
Wo war der Schütze hin? Er konnte doch nicht so schnell verschwunden sein!
Der Schlag traf mich mit elementarer Wucht. Ich taumelte nach vorn. Schwere Schritte entfernten sich. Ich versuchte, etwas zu erkennen, aber mir drohte schwarz vor Augen zu werden.
Ein Schatten. Ich kämpfte verbissen mit meinen Gummibeinen, um die Verfolgung aufzunehmen. Ich folgte ihm, so gut ich konnte, und erst jetzt spürte ich den Schmerz, der meinen Kopf und dann meinen Oberkörper wie etwas Glühendes erfüllte. Die Gestalt verschwand zwischen den Bäumen, die sich in Nebel aufzulösen schienen. Und dann war die Welt plötzlich voller Geschrei. Es schien zu heulen und zu brausen, und ich konnte es nicht mehr ertragen. Meine Hände tasteten über raue Rinde, und dann knallte ich auf etwas Hartes.
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass ich endlich aufatmen konnte. Und in dieser Sekunde der Klarheit begriff ich, dass das Geschrei ein heulender Motor war.
Der Motor eines Motorrads, das rasend schnell in der Ferne verschwand.
Dann war es still. Und dunkel.
Krankenhaus
Heike Quisselborn stand auf einer gläsernen Kiste. Sie trug ein knallrotes Kleid - so rot, dass es mir in den Augen schmerzte. Sie sah mich an und schien auf etwas zu warten. Musik setzte ein - mystische Musik mit eigenartigen Gesängen. Gregorianische Choräle, angetrieben durch ein dumpfes Schlagzeug, das wie ein gewaltiger Herzschlag in meinem Kopf dröhnte.
Als ich es nicht mehr ertragen konnte und aufschreien wollte, dass man doch mit dem furchtbaren Krawall aufhören sollte, trat auf einmal Stille ein, und im selben Moment brach Heike Quisselborn klirrend durch das Glas und sackte nach unten. Die Kiste war riesig, sie erinnerte an ein Aquarium, und Heike versuchte zu schwimmen.
Verzweifelt reckte sie die Hände aus dem Wasser, um nach der Kante zu greifen und sich hochzuziehen. Ich wollte zu ihr, wollte ihr helfen, doch ich konnte mich nicht bewegen.
Und dann war das Mädchen verschwunden. An seiner Stelle pulsierte ein riesiges rotes Herz, in dem ein schwarzer Pfeil steckte.
Die Musik setzte wieder ein, und jetzt stieß das Herz mit jedem Pulsschlag Blut in das Wasser, das sich nach und nach rot färbte. Zu der Musik ertönte eine Stimme, von der ich nicht wusste, ob sie zu den Chorälen und dem Schlagzeug gehörte. Sie war einfach in meinem Kopf.
Es war eine hohe Frauenstimme, die ein eigenartiges Gedicht vortrug: »… mein blutendes Herz… Finger am Abzug… peitschende Erlösung… dein Mörder sank zu Boden… reiß mein Herz heraus… leg es dir aufs Grab…«
Das pumpende Schlagzeug wurde immer schneller und verwandelte sich in ein kontinuierliches Brummen, das die ganze Welt auszufüllen drohte. Alles verschwand in einem blendenden Licht. Ich wollte die Augen schließen, doch dann rüttelte mich jemand. Schmerz durchzuckte meinen Kopf.
»Herr Rott? Bleiben Sie bei mir. Hallo? Herr Rott?«
In der hellen Fläche entstanden nach und nach verschiedene Dinge. Das Gesicht einer Frau. Eine Zimmerdecke. Neonröhren. Weiß.
»Ein Glück, er ist wieder da.«
Das Gesicht der Frau bewegte sich aus meinem Blickfeld, dann erschien ein anderes über mir.
»Jutta«, versuchte ich zu sagen, aber meine Stimmbänder versagten.
Ihr Gesicht war verheult, die Augen gerötet. Etwas Wimperntusche war nach unten gelaufen.
»Ach Remi. Ein Glück! Ich dachte schon, du wärst auch…«
»Was… ist…?«, stammelte ich, schob den Ellbogen nach hinten und versuchte hochzukommen. Wieder traf mich das Zucken wie ein Keulenschlag.
»Halt, halt!«, rief die andere Frau, die, wie ich jetzt sehen konnte, eine Krankenschwester war. »Herr Rott, schön liegen bleiben.« Sie war sofort da und überwachte, wie ich wieder nach hinten plumpste.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Er war wieder da!«, schluchzte Jutta. »Der Mörder mit der Armbrust!«
»Herr Rott braucht jetzt Ruhe«, sagte die Schwester. »Und Sie auch. Frau Ahrens, Sie müssen gehen. Ihr Neffe war über eine Stunde bewusstlos.«
»Moment, Moment«, krächzte ich und versuchte, das schmerzhafte Pochen in meinem Gehirn zu ignorieren. »Es geht ja schon wieder. Ich will wissen, was passiert ist. Nur eine Minute.«
»Frau Kley-Knöter… Miriam… Sie ist schwer verletzt. Wahrscheinlich stirbt sie… Und Claudia ist sauer, weil wir ihr nicht
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