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Bei Rotlicht Mord

Bei Rotlicht Mord

Titel: Bei Rotlicht Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Ich bin ein guter
Freund, ein Kumpel, ein Kollege.
    Einige Sekunden lang sahen wir uns
stumm an, der junge Clochard und ich.
    Unten auf der verlassenen Straße raste
ein Auto vorbei und zerriß mit quietschenden Reifen die nächtliche Stille.
    „Was soll das denn?“ stieß der
entsprungene Häftling hervor, wobei er instinktiv die Stimme dämpfte.
    Auf sein müdes Gesicht trat ein
unwilliger Ausdruck, der dem, was ich soeben gedacht hatte, entsprechen oder
aber widersprechen konnte.
    „Was soll das?“ wiederholte er. „Noch
so ein Gag?“
    „Ich fürchte, ja“, seufzte ich. „Ein
Gag. Einer, der alles auffliegen läßt. Genau in dem Moment, in dem ich so
langsam anbeiße! Deine Leute hätten noch ein wenig mit ihrem Auftritt warten
sollen. Pech, was? Ihr habt euren Sketch schlecht getimt.“
    Angeekelt verzog er das Gesicht.
    „Verdammt!“ fluchte er. „Meinen Sie,
das wär ‘n abgekartetes Spiel?“
    „Warum nicht? Wär schon das zweite Mal
in ganz kurzer Zeit. So langsam gewöhne ich mich daran.“
    „Also wirklich, Sie machen mir Spaß“,
entgegnete er achselzuckend, wobei seine Miene allerdings seine Worte Lügen
strafte.
    Währenddessen fuhr der Mann draußen
vor der Tür fort, das lustige Klingelmännchen zu spielen.
    „Was sollen wir machen?“ fragte der
Junge. „Ihn bis morgen mittag klingeln lassen?“
    „Keine Ahnung. Man hat mir das
Drehbuch nicht zu lesen gegeben.“
    „Oh, verdammt!“ Er schluckte den
letzten Bissen seines Sandwichs hinunter. „Das sind die Flics, was? Ich weiß
nicht, wie Sie’s geschafft haben, sie zu benachrichtigen. Aber irgendwie haben
Sie’s fertiggebracht.“
    Wir gaben ein hübsches Paar ab! Um
zwei so Schlauberger wie uns zu finden, hätte man lange suchen müssen.
Allerdings waren wir beide übermüdet...
    „Das sind nicht die Flics!“ beruhigte
ich ihn. „Ich hab sie nicht angerufen. Und ich erwarte auch keinen Besuch.“
    „Ich auch nicht.“
    Ich sah meinem Gegenüber tief in die
schwarzen Augen. Nein, er schien mich nicht hereinlegen zu wollen.
    „Herrgott nochmal!“ zischte ich. „Wer
ist es dann? Um diese Uhrzeit!“
    „Am besten, Sie sehen mal nach“,
zischte er zurück. „Schließlich sind Sie hier zu Hause, oder?“ Er sackte auf
seinem Stuhl zusammen. „Sie werden’s mir schon nicht auf die Nase binden,
wenn’s die Flics sind... Na ja, ist mir auch egal! Irgendwann mußte das ja so
enden. Ich konnte mich nicht ewig verstecken...“
    „Halt die Klappe und steh auf! Du
wirst nämlich nachsehen, wer draußen steht.“ Ich hielt den Revolver immer noch
in der Hand. Langsam bewegte ich ihn hin und her. „Wenn ich’s mir recht
überlege, ist es mir lieber, wenn du vor, als wenn du hinter mir stehst.“
    „Von mir aus“, sagte er resigniert.
„Wenn’s Ihnen Spaß macht...“
    Er stand auf und schlich lautlos in
seinen Turnschuhen durch den dunklen Flur. Die Tür zum Wohnzimmer ließ er
offenstehen, so daß er genug sehen konnte. In dem Augenblick als ich aufstand,
ohne genau zu wissen, was ich tun oder was ich von der ganzen Sache überhaupt
halten sollte, genau in dem Augenblick schob er den Riegel zurück und öffnete
die Tür.
    Der Sinn all dieser Komödien — wenn es
denn Komödien waren — entging mir nach wie vor vollkommen. Der entsprungene
Häftling öffnete also die Tür und...
    Es fielen drei Schüsse. Mein Gast
zuckte dreimal zusammen, so als hätte er einen Schluckauf.
    Als letzte und instinktive
Rettungsaktion streckte er den Arm aus, lehnte sich mit seinem Gewicht gegen
die Tür und schloß sie mit einem Knall. Einem vierten.
    Zu spät! Der Tod war bereits
eingetreten.

Die Leiche schnappt frische Luft
     
     
    Monsieur Jean drehte sich um die
eigene Achse und starrte mich an. Die Hände gegen den Bauch gedrückt, versuchte
er, die Ströme von Blut aufzuhalten. Oder vielleicht versuchte er es auch gar
nicht. Auf jeden Fall hatte er keinen Erfolg. In seinem blutleeren Gesicht trat
der Dreitagebart immer plastischer hervor. Seine schwarzen, mit einemmal
glasigen Augen sahen in meine Richtung, aber durch meine in Zukunft für ihn
unwichtige Person hindurch, weit weg, dorthin, wo es nichts mehr zu sehen
gab... Seine Beine knickten ein, und er fiel mit einem nicht lauten, aber
ziemlich unangenehmen Geräusch vornüber auf den Boden.
    Mir wurde bewußt, daß ich bis jetzt
wie versteinert dagestanden hatte. Mein offener Mund wartete vergebens auf
einen langgezogenen Entsetzensschrei, den wohl mein angespannter

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