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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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während Frau und Kind allein am Feuer saßen und warteten.
    Die weiße Farbe blätterte ab, aber die Fensterläden schlössen gut. War es nicht vorstellbar, dass das Haus geduldig darauf wartete, wieder mit Leben erfüllt zu werden?
    Neben dem Weg stand ein stabiler kleiner Lieferwagen. Vermutlich gehörte er Grant.
    Gennie wandte sich der Seeseite zu. Hinter dem Leuchtturm konnte sie die Wellen der lebendigen See hören. Der Anblick, der sich ihr bot, war so beeindruckend, dass ihr der Atem stockte. Man sah meilenweit die unregelmäßige Küstenlinie entlang, der einige Inseln vorgelagert waren.
    Seetüchtige kleine Boote schaukelten auf dem blauen Wasser. Wahrscheinlich wurden sie von Hummerfischern benutzt. Gennie ahnte, dass sich hierher keine Chrom- und Mahagonijachten verirrten. Alles diente einem Zweck, für bloßes Vergnügen war kein Platz. Stärke und Dauerhaftigkeit – diese Begriffe kamen ihr in den Sinn, als sie die Wellen beobachtete, deren weiße Schaumkronen gegen die Felsen tanzten. Seetang trieb in der Brandung, ballte sich und floss mit der Bewegung des Wassers auseinander. Die See herrschte über allem.
    Gennies geübter Blick blieb lange an den ausgewaschenen Felswänden hängen, die im Sonnenlicht in den Farben Graugrün bis leuchtend Orange glänzten. Auf dem Sand blitzten weiße Muscheln, achtlos von der Brandung heraufgespült und noch nicht von gleichgültigen Füßen zertreten. Der Geruch von Salz und Fisch mischte sich mit dem frischen Wind, und die Möwen flogen schreiend über Gennies Kopf. Weder Geräusch noch Anblick oder Geruch kamen von irgend etwas anderem als von der unendlichen, zeitlosen See.
    War da nicht die geheime Kraft zu spüren, die seit Ewigkeiten Männer und Frauen verzauberte und anlockte? Gennie verlor sich in Träumen und Staunen, als sie, an einen Felsen gelehnt, in die Ferne sah. Gefahr, Reiz und Frieden – das alles fühlte sie und war seltsamerweise wunschlos glücklich.
    Sie hatte nicht gehört, dass Grant herangekommen war. Erstaunt beobachtete er das Mädchen. Sie passt hierher, empfand er und hasste sich für diesen Gedanken. Denn sie stand auf seinem Landl Das kleine, abgeschlossene Stück Erdboden, das vom Meer umspült wurde und hoch über die Wellen hinausragte, war seine Zuflucht.
    Nie würde er so vermessen sein, sich als Herr über die See zu betrachten. Aber die Felsen, das magere Gras und der Sand gehörten ihm, Grant Campbell. Gennie hatte keinen Grund, auszusehen, als wäre sie am rechten Platz. Fast könnte man befürchten, dass sie seine Klippen nie wieder verlassen würde.
    Der Wind drückte ihr die Kleider an den Körper, so wie in der Nacht zuvor der Regen. Ihre schlanken Glieder und die runden, weiblichen Formen waren deutlich zu erkennen. Das lange Haar tanzte heftig und frei in der Luft.
    Ehe ihm bewusst wurde, was er tat, ergriff Grant Gennies Arm und drehte sie herum, sodass sie ihn ansehen musste.
    In ihrem Gesicht las er nicht Überraschung, sondern Erregung und Spannung durch den Anblick der See. Dieses Gefühl strahlte verführerisch aus den grünen Augen.
    »Gestern Abend habe ich mich gewundert, dass jemand freiwillig hier wohnt.« Sie warf den Kopf zurück. »Heute kann ich nicht begreifen, dass man irgendwo anders leben mag.« Auf ein kleines Fischerboot am Steg hinweisend, erkundigte sie sich: »Ist das Ihres?«
    Grant starrte sie noch immer an. Plötzlich wurde ihm klar, dass er sie beinahe geküsst hätte, fast glaubte er, ihren Mund auf seinen Lippen zu schmecken. Nur mit Mühe blickte er in die angegebene Richtung. »Ja, es gehört mir.«
    »Ich halte Sie von Ihrer Arbeit ab.« Zum ersten Mal schenkte Gennie ihm ein ehrliches, echtes Lächeln. »Wahrscheinlich wären Sie schon seit Sonnenaufgang unterwegs, wenn ich Sie nicht gestört hätte.«
    Grant murmelte eine unverständliche Entgegnung und schob Gennie in die Richtung, wo sein Wagen stand. Seufzend gab Gennie alle guten Vorsätze dieses Morgens auf. Es hatte mit ihm wohl doch keinen Zweck. »Müssen Sie eigentlich so unfreundlich sein, Mr. Campbell?«
    Grant hielt kurz an und warf ihr einen Blick zu. Lag nicht verhaltene, amüsierte Ironie in ihren Augen? »Ja.«
    »Jedenfalls gelingt es Ihnen ausgezeichnet!«
    »Das kommt von jahrelanger praktischer Anwendung.« Er ließ Gennie los, als sie den kleinen Lieferwagen erreichten. Dann öffnete er die Tür an der Fahrerseite und stieg ein. Sie musste um die Kühlerhaube herumlaufen, um auch hineinklettern zu können.
    Als

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