Bei Tag und bei Nacht
der Motor dröhnend ansprang, erinnerte das Geräusch so sehr an Städte und Verkehr, dass es Gennie wie ein Verrat an der Landschaft erschien. Einmal schaute sie zurück, und ihr wurde sofort klar, dass sie diesen Ausblick malen würde, nein, malen musste. Fast hätte sie das laut gesagt, aber nach einem kurzen Blinzeln zu Grant ließ sie es lieber bleiben.
Zum Teufel mit ihm! entschied sie. Sie würde hier zeichnen, wenn er zum Hummerfang ausgelaufen war, oder was immer er in seinen Netzen heimzubringen gedachte. Was er nicht wusste, konnte ihn nicht ärgern. Sie setzte sich auf ihrem Platz zurück, faltete artig die Hände und sagte kein Wort.
Nachdem Grant ungefähr eine Meile gefahren war, quälte ihn sein schlechtes Gewissen. Die Straße war kaum besser als ein Graben. Jeder, der während eines Sturmes hier entlangging, würde nur zu bald erschöpft sein und sich elend fühlen. Bei einem Ortsunkundigen käme noch Angst hinzu. Etwas mehr Sympathie und Mitgefühl seinerseits hätte wohl nicht geschadet. Er warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu, als sein Truck über die Löcher holperte.
Sie sah zwar nicht zerbrechlich aus, aber man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie diesen ungemütlichen, anstrengenden Marsch bei Sturm und Regen geschafft hatte.
Grant suchte noch immer eine passende Formulierung, um sich zu entschuldigen, als Gennie den Kopf hob und erfreut feststellte: »Dort steht mein Auto!« Ihre Stimme hatte wieder den herablassenden, kühlen Ton, und Grant schluckte sofort seine Entschuldigung hinunter.
Plötzlich drehte er eine scharfe Kurve, sodass Gennie härter gegen die Tür flog, als nötig gewesen wäre. Beide schwiegen, als Grant den Motor ausmachte, und kletterten hinaus. Während er an ihrem Wagen den Fehler suchte, stand Gennie untätig daneben, die Hände in den hinteren Taschen ihrer Jeans vergraben.
Er öffnete die Haube und fummelte an Drähten und Leitungen herum, wie Männer das unter Motorhauben zu tun pflegten. Dabei redete er leise vor sich hin. Solche Selbstgespräche waren sicherlich ganz normal für Menschen, die allein an einer einsamen Felsenküste hausten.
Nachdem Grant zu seinem Fahrzeug zurückgekehrt war, zog er unter dem Sitz einen Werkzeugkasten hervor. Nach einigem Suchen kam er mit zwei Schraubenschlüsseln zurück und verschwand erneut unter der Kühlerhaube. Gennie trat dicht hinter ihn, um über seine Schulter spähen zu können. Offensichtlich hatte er den Defekt gefunden. Wenn sich der Schaden mit einfachem Werkzeug beheben ließ, war es vielleicht nicht zu kompliziert, und sie könnte beim nächsten Mal selbst … Unwillkürlich lehnte sie sich vor und stützte ihre Hand auf Grants Rücken, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Ohne sich aufzurichten, drehte Grant sich um. Dabei streifte sein Arm deutlich ihre Brust. Mit Fremden im Gedränge passierte so etwas tagtäglich und wurde kaum bemerkt. Doch beide spürten in diesem Moment die gegenseitige Berührung wie einen Stromstoß, der Begehren weckte.
Gennie wäre zurückgewichen, aber ihr Blick hing auf einmal an Grants dunklen, ruhelosen Augen, und warmer Atem streifte ihre Lippen.
Ein paar Zentimeter, dachte sie, nur ein ganz kleines Stück trennt mich von seinem Mund! Unbewusst glitt ihre Hand auf Grants Schulter und hielt sich dort fest.
Er spürte ihren Griff. Doch das war nichts im Vergleich zu dem eigentümlichen Gefühl in seinem Nacken, am Ende der Wirbelsäule und in der Tiefe seines Körpers. Zugreifen und nehmen, was so verführerisch nahe war – konnte das vielleicht den Druck lösen? Oder würde die Erregung sich erst recht entzünden? Grant wusste in diesem Moment nicht, was ihm lieber wäre.
»Was tun Sie da?«, fragte er, und jetzt klang seine Stimme weder hart noch ärgerlich.
Gennie konnte den Blick nicht von Grants Augen lösen. Sie erkannte sich selbst darin. Wann habe ich mich dorthin verlaufen? überlegte sie benommen.
Beide lehnten noch immer über dem Wagen, und Gennie klammerte sich an Grants Schulter. Er hielt in der einen Hand einen Schraubenschlüssel und in der anderen einen Bolzen. Es wäre leicht gewesen, einander noch näher zu kommen. Er wollte der Versuchung nachgeben und Gennie mit seinem Körper berühren. Aber plötzlich fiel ihm ein, wie unangenehm selbstverständlich sie ausgeschaut hatte, als sie auf seinem Land stand und über das Wasser blickte.
Wenn du das Mädchen berührst, Campbell – warnte eine innere Stimme –, wirst du es bereuen!
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