Bei Tag und bei Nacht
dir. Eine davon musste sie mir zur Hochzeit schenken.«
Gennie freute sich und bat Shelby: »Hilfst du mir dann, Mr. MacGregor davon zu überzeugen, dass ich auch sein Haus unbedingt malen muss?«
»Kein Problem!« Shelby lachte. »Wir werden ihn um den Finger wickeln.«
»Ist das hier ein Gipfeltreffen?«, fragte Alan, aus der Halle kommend. »Will mich denn niemand unterstützen? Dad stöhnt und jammert herzerweichend, dass seine Familie so selten versammelt ist.« Liebevoll glitt Alans Hand unter die rote Haarflut und umfasste Shelbys Nacken. Dann fiel sein Blick auf Gennie. »Wir trafen uns schon.« Seine ausdrucksvollen, dunklen Augen verengten sich, als er überlegte. »Ich hab’s: Genevieve Grandeau.«
Gennie lächelte überrascht zurück. »Es war nur ein Moment und in einem völlig überfüllten Saal. Eine Wohltätigkeitsveranstaltung vor zwei Jahren, Senator.«
»Alan«, verbesserte er. »Und du bist also Grants Künstlerin.«
Amüsiert wandte er sich an Grant. »Ich muss gestehen, dass sie deine Beschreibung um ein Vielfaches übertrifft. Wollen wir nicht jetzt alle zu MacGregor gehen, bevor er anfängt, nach uns zu rufen?«
»Komm!« Justin nahm das Baby aus Serenas Arm. »Robert wird ihn beruhigen.«
Gennie erkannte sofort, warum Shelby vom Thronsaal gesprochen hatte. Der riesige Raum war ganz mit rotem Teppich ausgelegt. Überall hingen wertvolle Gemälde, die durch das sanfte Licht großer Kandelaber geschickt zur Geltung kamen. Durch die vielfach unterteilten Fenster drangen gedämpfte Sonnenstrahlen ein. Es roch deutlich nach Bienenwachs. Große, schwere Möbel verschwanden fast in diesem wundervollen Raum. Vor dem Kamin, in dem ein aufrecht stehender Mensch Platz gefunden hätte, lag ein Stapel mächtiger Buchenscheite.
Mittelpunkt der imponierenden Umgebung war zweifellos Daniel MacGregor. Er füllte den hochlehnigen gotischen Sessel mühelos aus, umfasste mit mächtigen Händen die MacGregor’schen Löwenköpfe an den Armlehnen und blickte mit strahlend blauen Augen erwartungsvoll zur Tür, durch welche die Mitglieder seiner Familie jetzt nacheinander den Saal betraten. Die schottische Herkunft konnte er wahrhaftig nicht leugnen, denn ungebärdiges rotes Haar bedeckte als dichter Schopf seinen kantigen Schädel.
»Nun!« Das kleine Wort wurde zur Anschuldigung. Die tiefe, grollende Stimme passte vorzüglich zu Daniel MacGregor.
Ungerührt – Gennie hielt es für mutig – spazierte Shelby zu ihm hin und gab ihm einen kräftigen Kuss. »Hi, Großvater!«
Die Anrede gefiel ihm, aber er bemühte sich, seine finstere Miene beizubehalten. »Es sieht aus, als hättet ihr großzügig beschlossen, mir eine Minute eurer Zeit zu opfern.«
»Ich fühlte mich verpflichtet, zuerst dem jüngsten MacGregor meine Aufwartung zu machen.«
Als wäre dies sein Stichwort, betrat Justin den Raum und legte dem großen Daniel den eingebündelten Klein Robert auf den Schoß. Gennie beobachtete, wie sich der grimmige Riese in ein Sahnebonbon verwandelte. Er kitzelte das Baby unter dem Kinn, und als die winzige Hand seinen Zeigefinger umklammerte, strahlte er über das ganze Gesicht. »Stark wie ein Ochse!«, stellte er voller Stolz fest und blickte Beifall heischend in die Runde. Dabei bemerkte er Grant. »Hallo, Campbell, da bist du ja. Hier ist ein Beweis dafür«, Robert wurde hochgehoben, »dass die MacGregors unbesiegbar sind. Starker Stamm!«
»Gutes Blut«, vollendete Serena leise und nahm ihr Baby aus des Großvaters Händen.
»Gebt dem Campbell etwas zu trinken«, ordnete Daniel an. »Wo ist die Künstlerin?«, fragte er im gleichen Atemzug. Sein Blick wanderte über die Köpfe der anderen, landeten bei Gennie und blieb dort hängen. War er überrascht oder amüsiert?
»Daniel MacGregor«, Grant übernahm das förmliche Bekanntmachen, »Genevieve Grandeau.«
Es zuckte verräterisch um Daniels Mundwinkel, dann erhob er sich zu seiner ganzen, beeindruckenden Größe und streckte die Hand aus. »Willkommen!«
Gennies halber Unterarm verschwand zwischen seinen Fingern. Sie hatte gleichzeitig den Eindruck von Kraft, Mitgefühl und Eigensinn.
»Sie bewohnen ein fantastisches Haus, Mr. MacGregor«, sagte Gennie und sah ihn fest an, »es passt zu Ihnen.«
Er lachte, dass die Fenster klirrten. »Jawohl, und drei Ihrer Bilder hängen im Westflügel.« Sein Blick streifte Grant, dann wandte er sich wieder Gennie zu. »Sie sehen gut aus für Ihr Alter.«
Gennie verstand weder seine Bemerkung noch dass
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