Bei Tag und bei Nacht
wir schließen können? Würdest du mich etwa heiraten, um dich dann hier zu vergraben? Zum Teufel, wir wissen beide doch ganz genau, dass dich die Presse auch ohne dein Dazutun ausfindig machen würde. Würdest du von mir erwarten, dass ich in New Orleans lebe, bis meine Arbeit nichts mehr taugt und ich mir nichts sehnlicher wünschen könnte, als dort wegzukommen?« Grant drehte sich zu ihr um, ballte zornig die Hände zu Fäusten und blitzte Gennie an. »Wie lange würde es dauern, bis jemand das aus meinem Leben aufdeckt, was ich aus gutem Grund für mich behalten möchte und worüber ich niemandem Rechenschaft schuldig bin?«
»Das bist du ja gar nicht.« Wenn ich jetzt weinen muss, dachte Gennie, kann ich nie wieder aufhören. »Aber du wirst auf keine dieser Fragen eine Antwort finden, nicht wahr? Weil du dir die Mühe nicht gemacht hast, mich teilhaben zu lassen, weder an den Fragen noch an deinen Gründen. Das dürfte Antwort genug sein.«
Sie verließ das Studio und stieg mit festen Schritten die geschwungene Treppe hinunter. Erst als sie im Freien war, rannte sie.
12. K APITEL
Gennie sah die Karten in ihrer Hand an und überlegte. Es waren eine Neun und eine Acht. Mit siebzehn auf Nummer sicher gehen? Noch eine Karte nehmen wäre riskant. Trotzdem nickte sie dem Croupier zu. Dann lächelte sie ironisch: eine Vier. Glück im Spiel …
Warum in aller Welt spielte sie Blackjack um sieben Uhr fünfzehn am Sonntagmorgen? Nun, es war eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben, und produktiver, als im Zimmer umherzulaufen oder schlaflos im Bett zu liegen. Beides hatte sie lange genug versucht. Doch auch die Glückssträhne der letzten Stunden konnte ihre Stimmung nicht verbessern. Fast wäre ihr ein kräftiger Verlust lieber gewesen, dann hätte sie sich wenigstens geärgert.
Gennie wechselte die Chips ein und steckte den Gewinn in ihre Handtasche. Beim Würfeln später würde sie das Geld vielleicht wieder verlieren. Um diese Tageszeit war das Casino fast leer. Der hohe, elegante Raum wirkte noch imposanter.
Sie trat an eines der riesigen Fenster und schaute hinaus. War das Meer der Grund, warum sie nicht zurück nach New Orleans gefahren war? Sie hatte gepackt und sich unverzüglich auf den Weg gemacht. Zu Hause würde sie ihr altes Leben wieder aufnehmen. Dann hatte sie sich, ohne viel nachzudenken, anders entschieden und war hierher zu Serena und Justin gekommen.
Die Wellen trugen kleine Schaumkronen, der Wind blies heute stürmisch. Vor mehr als zwei Wochen war sie hier eingetroffen, aber zu einem Strandspaziergang hatte sie sich bisher noch nicht entschließen können. Warum quälte sie sich und setzte keinen dicken Strich unter die ganze, hoffnungslose Sache? Hatte Grant sie nicht eindeutig abgewiesen und weggeschickt? Aber der Schmerz über die Trennung von ihm höhlte sie immer mehr aus.
»Ich liebe dich«, hatte er gesagt, »aber …«
Das würde Gennie nie verstehen. Liebe bedeutete, dass alles möglich war, dass man alles möglich machen konnte. Wenn seine Liebe aufrichtig gewesen wäre, dann hätte er das begriffen.
Vielleicht wäre es besser, nicht täglich den Macintosh in der Zeitung zu verfolgen. In Macintoshs Leben war Veronica getreten. Dieser lächerliche und beißende Cartoon-Strip gefiel Gennie, sie musste über das Liebesduell der beiden Cartoonfiguren lachen. Dann kamen die Erinnerungen, und sie musste weinen.
Mit welchem Recht benutzte Grant sie – Gennie – als Vorlage für seine Arbeit? Über das ganze Land verbreitet, konnten die Leser in Dutzenden von Zeitungen Macintoshs beginnende Romanze verfolgen: seine Verliebtheit bis über beide Ohren und seine Verwirrung durch die sinnliche, reizvolle Veronica. Die Strips waren komisch, ein Hauch von Spott und Zynismus machte sie noch anziehender, noch menschlicher. Gennie entdeckte alles wieder, was sie beide gesagt und getan hatten, obwohl Grant sehr geschickt war im Verdrehen und Lächerlichmachen.
Trotz seiner Vorliebe für Zurückgezogenheit teilte er die komplizierte Berg-und-Tal-Bahn seiner Gefühle aller Welt mit. Es tat weh, täglich den Macintosh zu betrachten. Aber Gennie stürzte sich auf die Zeitung, sobald sie erschien.
»Früh aufgestanden, Gennie?«
Justin stand hinter ihr und legte die Hand auf ihren Arm. »Ich war schon immer ein Morgenmensch«, wich Gennie seiner Frage aus, doch dann setzte sie lächelnd hinzu: »Ich habe deine Tische leer gemacht.«
Justin gab das Lächeln zurück, aber seine Augen
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